Die Wenn-dann-Falle: Warum wir nicht glücklich werden, wenn wir dem Glück hinterherjagen
von Ragnhild Struss
„Wenn ich erst …, dann …“ – mit dieser den meisten bekannten Haltung knüpfen wir unser Glück an äußere Umstände und verschieben es auf später. Ragnhild Struss zeigt, warum diese Einstellung uns nicht wirklich glücklich macht und wie es uns gelingt, uns bereits im Jetzt zufrieden zu fühlen.
„Wenn ich erst mal meinen Traumjob bekomme / den passenden Partner gefunden habe / weiß, was ich werden will / in einer anderen Stadt lebe / Kinder habe / ein Start-up gegründet habe / etc. – DANN werde ich glücklich sein!“ Fast jeder tappt ab und zu in die Wenn-Dann-Falle, verschiebt damit sein inneres Glücksempfinden auf Zeitpunkte in der Zukunft und knüpft es an Bedingungen im Außen, die gefühlt erst eintreten müssen, bevor man sich erfüllt fühlen kann. Doch selbst, wenn wir einige dieser geplanten Meilensteine erreichen, tritt das erwartete Glücksgefühl selten im angenommenen Maße ein. Woran liegt das und wie gelingt es uns, uns wirklich glücklich zu fühlen?
Warum das Wenn-Dann-Denken ein Trugschluss ist
Auf den ersten Blick erscheint der Zusammenhang logisch: Erst muss etwas Bestimmtes erreicht werden, und dann kann unser Glücksgefühl die Folge sein. Noch deutlicher ausgedrückt: Wir wollen etwas „haben“, um auf eine bestimmte Art und Weise zu sein. Doch bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass wir uns eigentlich gar nicht unbedingt nach der Errungenschaft im Außen an sich sehnen – sondern wir stellen uns vor, wie wir uns FÜHLEN werden, wenn wir unser Ziel erreicht haben. Somit geht es uns also immer um das Gefühl hinter einem bestimmten Ziel, nicht um das Ziel selbst. Denken wir uns zum Beispiel „Nach der Beförderung werde ich glücklich sein.“, dann meinen wir damit eigentlich: „Von der Beförderung erhoffe ich mir, mehr Wertschätzung von meinen Kollegen und meiner Chefin zu erhalten und mich so respektierter zu fühlen.“ oder „Die Beförderung entspricht meinem Idealbild von mir selbst und bestimmt werde ich mich dann selbstbewusst und stolz auf meine Leistung fühlen.“
Das Problem: Fast nie führt das Erreichen bestimmter Meilensteine wirklich zu dem Gefühl, welches wir uns erhoffen – wir haben in der Regel überzogene Erwartungen daran, wie zufrieden uns bestimmte Dinge machen werden. Vielleicht kennen einige dieses Phänomen aus der eigenen Shopping-Erfahrung: Wir sehnen uns nach einem bestimmten Kleidungsstück oder Tech Gadget – doch kaum besitzen wir es, nimmt unser Glücksgefühl über den Kauf drastisch ab und wir halten bereits wieder nach dem nächsten begehrenswerten Produkt Ausschau. Was bei materiellen Dingen offensichtlich ist, trifft jedoch häufig auch auf immaterielle Ziele im Außen zu, die uns am Ende nicht dauerhaft wie erwartet erfüllen. Das liegt unter anderem daran, dass wir uns an Veränderungen schnell gewöhnen und diese dann als normal und selbstverständlich wahrnehmen.
„Wenn …, dann …“ funktioniert nicht, weil die Denkweise sich auf die Erfüllung richtet: Hinter jedem Ziel wartet jedoch bereits das nächste „Wenn …, dann …“, es gibt immer etwas im Außen zu optimieren. Letztendlich führt diese Haltung dazu, dass unsere äußere Welt zunächst einmal oder auch dauerhaft optimal sein muss, damit wir uns überhaupt gut fühlen können. Das gleicht einer Sisyphus-Aufgabe, die uns niemals zufrieden sein lässt, sondern eher frustriert, weil uns ständig noch etwas ins Auge fällt, was wir noch nicht haben und was wir unbedingt noch erreichen müssen. Außerdem richten wir unseren Blick so sehr stark auf den Mangel, also alles, was uns noch fehlt, sowie auf die Zukunft, in der wir erst glücklich sein werden. Das führt zum Übersehen des Guten, was bereits in der Gegenwart vorhanden ist, und somit zu verpasstem Genuss und mangelnder Achtsamkeit gegenüber dem jetzigen Moment.
Die Folgen: Der Kreislauf von immer schneller aufploppenden Wünschen und deren Erfüllung kann in eine Abwärtsspirale oder gar Sucht führen. Es kommt das Gefühl auf, dass es niemals reicht, und diese sehr konsumorientierte Haltung führt zu einer zu starken Abhängigkeit von äußeren Faktoren – statt im Wachstums-Mindset für uns selbst zu denken und die eigene Entwicklung in den Blick zu nehmen. Dabei übersehen wir, dass wir unsere Gefühle selbst steuern können, sprich uns selbst in die Lage versetzen können, die wir durch unsere Wenn-dann-Denkweise als von äußeren Umständen abhängig wahrnehmen.
Eine weitere Form des ungünstigen Wenn-dann-Denkens lautet „Wenn …, dann erlaube ich mir etwas.“, zum Beispiel „Wenn ich befördert wurde, dann darf ich bei der Arbeit weniger Überstunden machen und auch mal wieder Freunde treffen.“. Aus der Vorstellung wird schließlich nichts, weil das „neue Level“ nur noch mehr Verpflichtungen kreiert. Auch diese Form des auf die Zukunft verschobenen Glücks im Sinne von Erlaubnissen ist höchst problematisch, weil wir uns damit maßregeln und uns möglicherweise für unser Wohlbefinden wichtige Aspekte im Jetzt versagen.
Und schließlich kann eine Wenn-dann-Haltung dazu führen, dass wir bei der Betrachtung des Außen immer auf unseren potenziellen Vorteil achten. Das kann eine antisoziale Komponente enthalten. Glück von außen bzw. durch Befriedigung von Wünschen im Außen (hedonistisches Glücksempfinden) ist immer nur von kurzer Dauer. Demgegenüber steht das sogenannte eudaimonische Glücksempfinden, das wesentlich nachhaltiger ist. Wir können damit auch unser eigenes Wachstum wertschätzen, indem wir einen guten Umgang mit unserer Ist-Situation finden. Das hat zur Folge, dass wir weniger neiden und anderen ihr eigenes Glück besser gönnen können.
Wie Ursache und Wirkung in Wirklichkeit zusammenhängen
„Du wirst nicht etwas, weil du etwas bekommst, sondern du bekommst es, weil du es bist.“
Es gilt zunächst das Gesetz der Resonanz oder Schwingung: Wir strahlen aus, was wir denken und fühlen, ein Gefühl von Mangel hat eine wesentlich geringere Ausstrahlungskraft als eines von Fülle. Nach dem Gesetz der Anziehung ziehen wir schließlich genau das an, was wir ausstrahlen: Es ist also so, dass unsere bereits bestehende innere Haltung bestimmt, was uns im Außen widerfährt. Dieser Zusammenhang lässt sich an zwei Beispielen verdeutlichen:
Positiv-Beispiel: Ein Mensch mit der zuversichtlichen Haltung „Ich lerne gerne Neues.“ verfügt sowohl über Offenheit als auch über den Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Entsprechend wird es dieser Person leichter fallen, sich beispielsweise die Nutzung neuer digitaler Anwendungen im Job anzueignen. Dank der generell höheren Aufgeschlossenheit gelingt es, dass Neues nicht als etwas Abzulehnendes betrachtet wird, sondern als Chance oder Herausforderung im positiven Sinne sowie als etwas Interessantes. Gelingt der Person folglich der Lernprozess und beherrscht sie später erfolgreich das neue Programm, dann ist das vor allem auch darauf zurückzuführen, dass sie an sich geglaubt hat und motiviert an die Sache herangegangen ist – und kein von ihrer Haltung losgelöster Effekt.
Negativ-Beispiel: Hat jemand eine begrenzende innere Haltung wie „Solange ich in meinem aktuellen Job arbeite, kann ich nicht glücklich sein.“, dann wird auch diese Einstellung zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Das Unbewusste nimmt durch diesen Glaubenssatz den aktuellen Job und „Glücklichsein“ als sich gegenseitig ausschließende Gegensätze wahr. Außerdem versetzt man sich mit dieser Haltung in eine passive Opferrolle durch den vermeintlichen Zusammenhang, dass äußere, im Moment nicht zu ändernde Umstände automatisch zu bestimmten inneren Empfindungen führen. Dadurch schränkt man sich selbst in seinem Handeln ein und versucht gar nicht mehr erst, eine andere Realität zu schaffen, etwa zu überlegen, welche Aspekte man am Job optimieren könnte, um sich zufriedener zu fühlen.
Wie wir dem Sehnsuchtskreislauf entkommen
Zunächst einmal müssen wir uns bewusstmachen: Es geht nicht um das, was wir bekommen, sondern darum, wie wir uns fühlen möchten. Analysieren Sie, nach welchen Gefühlen Sie sich sehnen: Wollen Sie sich öfter ruhig und entspannt fühlen, sehnen Sie sich nach Gefühlen wie Euphorie und Lebendigkeit, oder streben Sie Gefühle wie Sicherheit und Geborgenheit an? Als nächster Schritt gilt es, bereits im Jetzt die Gefühle zu kreieren, die Sie zu erreichen hoffen. Denken Sie über Maßnahmen nach, die Sie selbst ergreifen können, und zwar schon in diesem Augenblick (nicht erst bei Eintreten bestimmter äußerer Bedingungen). Auf das Glück bezogen bedeutet das, dass wir bereits in der Gegenwart unser eigenes Glücksempfinden steigern (entsprechend des eudaimonischen Ansatzes).
Das gelingt beispielsweise mit Konzepten wie Dankbarkeit, also sich täglich das schon vorhandene Positive bewusstzumachen und es wertzuschätzen, sowie mit Achtsamkeit, also überhaupt wahrzunehmen, was in jedem einzelnen Moment schön ist. Machen Sie es sich zur Gewohnheit, sich über den Tag hinweg immer mal wieder zu fragen „Was ist bereits gut?“, gerade auch in Situationen, in denen Sie zu Pessimismus oder Ärger neigen. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit dieser Übung wird es Ihnen gelingen, dass sich Ihre Aufmerksamkeit künftig ganz von selbst auf die Fülle richtet, statt nur den Mangel zu sehen. Um diese neue Haltung zu stärken, überlegen Sie, in welchen Bereichen Sie sich mit negativen Glaubenssätzen möglicherweise selbst im Weg stehen und wandeln Sie diese in positive Mantren um. Wer beispielsweise immer glaubte „Ich kann mich nicht an meinen Traumjob wagen, weil ich nicht gut genug bin.“, könnte sich von nun an sagen „Ich bin bereit, für meinen Traumjob alles zu geben, und ich glaube an meine eigenen Fähigkeiten.“. Schreiben Sie sich Ihre neuen Mantren gerne auf Zettel und platzieren Sie sie gut sichtbar in Ihrer Wohnumgebung, um immer wieder an Ihre neue, wachstumsorientierte Haltung erinnert zu werden.
Wenn Sie sich unsicher sind, wie Sie sich fühlen wollen oder wie Sie zu diesen Gefühlen gelangen, dann brauchen Sie einen Kompass: Dieser besteht aus Ihren Wertvorstellungen. Stellen Sie sich die folgenden Fragen: Was ist mir in welchem Lebensbereich wichtig? Nach welchen Werten richte ich mein Handeln aus bzw. würde es gerne ausrichten? Was brauche ich, um mich wohlzufühlen? Halten Sie Ihre wichtigsten Werte fest und überlegen Sie auf deren Basis gezielt, welche Änderungen Sie in Ihrem Leben vornehmen können. Gehen Sie dabei jedoch nicht mit übersteigerten Erwartungen, was an Punkt X passieren wird, an die Sache, sondern arbeiten Sie gleichzeitig daran, schon jetzt mit dem Status Quo zufrieden zu sein. Beispiel: Wenn Sie Freiheit als einen Ihnen sehr wichtigen Wert ermitteln, Ihr aktueller Job Ihnen jedoch sehr wenig eigene Entscheidungsräume lässt und Sie sich sehr an Vorschriften orientieren müssen, dann träumen Sie nicht nur von einem ganz anderen Job, sondern versuchen Sie, Ihr Bedürfnis nach Freiheit schon jetzt zu leben. Das kann in anderen Lebensbereichen sein, zum Beispiel im Rahmen Ihrer Hobbys und Freizeitbeschäftigungen, oder Sie suchen innerhalb Ihres reglementierten Jobs nach Bereichen, in denen Sie tatsächlich frei handeln können. Wichtig ist, Ihren Werten schon jetzt mehr Raum zu geben, um in Zukunft noch mehr davon in Ihrem Leben zu haben.
Ziehen Sie schließlich noch die folgende Möglichkeit in Betracht: Vielleicht erfüllen Ihr Wenn-dann-Denken und Ihre scheinbar unstillbare Sehnsucht einen bestimmten Zweck für Sie und sind tief in Ihrem Persönlichkeitsmuster verankert! Dann wollen Sie nur vermeintlich etwas daran ändern, halten unbewusst jedoch an diesem Kreislauf fest. Fragen Sie sich: Was „bietet“ mir meine Einschätzung, dass mir immer etwas fehlt, welchen Zweck erfüllt diese Sehnsucht für mich? Empfinde ich dieses Verlangen als Antrieb? Habe ich Angst, mich sonst faul und unambitioniert zu fühlen? Komme ich mir dadurch wie jemand Besonderes vor, zum Beispiel, weil ich mich als besonders vom Schicksal benachteiligt fühle? Was würde ich verlieren, wenn ich plötzlich zufrieden wäre, statt dauernd unzufrieden zu sein? Manche Menschen sabotieren ihren eigenen Erfolg, weil sie Angst haben – vor einem möglichen Scheitern, vor einer Überforderung oder vor einer sichtbaren Position, in der man bewertet wird. „Wenn ich erst … kann, dann traue ich mir zu, mein Buch zu schreiben.“ wäre ein typisches Beispiel für ein Prokrastinieren eines Projekts, bei dem man es lieber gar nicht erst versucht, um auch nicht scheitern zu können. Welche Ängste stecken hinter Ihren Wenn-dann-Gedanken?
Fazit
Wir können – und sollten auch – immer nur in der Gegenwart leben und Glück empfinden. Wem dies nicht gelingt und wer keine Haltung einnimmt, mit der er im jetzigen Moment positive Gefühle erleben kann, dem wird dies auch in Zukunft schwerfallen. Denn die Konzentration auf den Mangel wird dann mit großer Wahrscheinlichkeit auch in künftigen Situationen vorherrschen und die Freude an schönen Dingen mindern. Das Beste, was wir für unser persönliches Glücksempfinden tun können, ist eine Haltung der Fülle, Dankbarkeit und Achtsamkeit im Jetzt. Wer diese kultiviert, ist einerseits unabhängiger von äußeren Errungenschaften und wird diese gleichzeitig mehr genießen können – und das ist eine absolute Win-Win-Situation.
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27.09.2021