Eigenverantwortung – das Leben selbstbestimmt gestalten
von Ragnhild Struss
Oft passiert es unbemerkt und schnell: Um uns vor Anschuldigungen zu schützen, weisen wir Verantwortung von uns bzw. begeben uns in eine passive Opferhaltung. Und das, obwohl uns gleiches Verhalten bei anderen unangenehm auffällt. Ragnhild Struss schildert, warum es wichtig ist, dass wir Eigenverantwortung annehmen und leben.
Bekannte Situationen aus dem Arbeitsleben: Das Papierfach ist nach uns leer, doch weil wir „in Eile“ sind, füllen wir es nicht wieder auf, sondern überlassen der nächsten Person diese Aufgabe. Das Gleiche an der Kaffeemaschine und in den Waschräumen. Oder wir haben bei einem Projekt noch keine Rückmeldung unseres Kollegen bekommen – Grund genug, daran vorerst nicht weiterzuarbeiten, sondern auf den Anstoß von außen zu warten. Und während im Teammeeting andere mit neuen Ideen vorpreschen, halten wir uns zurück – man muss schließlich nicht immer zu allem seinen Senf dazugeben, richtig?
Die Beispiele veranschaulichen verschiedene Arten, wie wir es vermeiden, Eigenverantwortung zu übernehmen. Klar, nicht so dramatisch, aber sie verdeutlichen das Muster, die Konsequenzen unseres Handelns nicht zu tragen (wer das Papier aufbraucht, sollte es auch auffüllen), in einer passiven Abwartehaltung zu verharren (statt an einem anderen Teil des gemeinsamen Projekts weiterzuarbeiten) oder anderen Menschen die Verantwortung zu überlassen, für Weiterentwicklung zu sorgen (während wir uns mit „Dienst nach Vorschrift“ gemütlich im Sessel zurücklehnen). Ein solches Verhalten ist nicht nur rücksichtslos gegenüber anderen, sondern auch gegenüber uns selbst – denn wir verschenken damit nicht nur unser Potenzial, sondern beeinträchtigen unser Selbstwertgefühl und mindern die Beziehungsqualität zu anderen. Alles drei Punkte, die wiederum einen negativen Einfluss auf Zufriedenheit und Erfolg haben.
Mündiger Erwachsener oder unselbstständiges Kind?
Das Konzept der Eigenverantwortung steht für die Bereitschaft, für unser eigenes Handeln (oder das Unterlassen von Handeln) Verantwortung zu übernehmen. Es beinhaltet das Verstehen der Tatsache, dass unser Tun oder Nicht-Tun immer Konsequenzen nach sich zieht – und es an uns ist, diese sowohl vorab zu bedenken, als auch bei Eintreffen zu tragen. Und zwar nicht nur, wenn diese positiv ausfallen (wie beispielsweise Lob), sondern auch dann, wenn Sanktionen, Benachteiligungen oder negative Emotionen die Folge sind. Philosophisch betrachtet basiert das Prinzip der Eigenverantwortung auf dem Ideal eines mündigen, selbstbestimmten Menschen – zu dem wir im besten Falle im Laufe unseres Erwachsenwerdens und unserer Erziehung heranreifen. Als Kinder müssen wir erst lernen, dass unser Handeln Konsequenzen nach sich zieht; außerdem stehen uns noch nicht so viele Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, sodass es verziehen wird, noch kaum eigene Verantwortung zu tragen. Doch wollen wir uns als Erwachsene wirklich mit einer selbstauferlegten Einschränkung unserer Möglichkeiten zufriedengeben – oder lieber die Gestaltung unseres Lebens in die eigene Hand nehmen?
Eine Frage des Mindsets
Wenn wir keine Eigenverantwortung übernehmen, geben wir durch die innere Überzeugung „Es ist eben so und ich kann eh nichts machen!“ die Kontrolle nach außen ab, lassen uns vom Strom des Lebens mitreißen und reagieren eher, als dass wir gestaltend aktiv sind. Während ein Übermaß an Kontrolle auch nicht erstrebenswert ist und wir durchaus in der Lage sein sollten, uns „fallen zu lassen“ und den Moment zu genießen, meint Eigenverantwortung im positiven Sinne, die eigenen Prioritäten zu kennen und entsprechend zu handeln. Verhalten wir uns zu passiv und abwartend, entwickeln wir leicht eine Opfermentalität: „Die anderen / das Leben / die Umstände sind schuld, dass ich nichts tun kann.“ Damit einher geht meist auch ein sogenanntes „fixes Mindset“: die Überzeugung, man selbst oder die Dinge seien eben so, wie sie sind, und wir können daran nichts verändern. Mit einer solchen Annahme legen wir uns selbst Steine in den Weg. Der größte davon ist, dass wir oft gar nicht erst versuchen, etwas zum Positiven zu verändern.
Hingegen bedingen sich eigenverantwortliches Handeln und ein „Wachstums-Mindset“ (das Gegenteil des fixen Mindsets) gegenseitig und verstärken einander: Wer selbst Dinge ins Rollen bringt, kann Erfolgserlebnisse verzeichnen – die wiederum die eigene Überzeugung nähren, dass man durchaus seine Umstände gestalten und sich selbst weiterentwickeln kann. Dieses Gefühl der Selbstwirksamkeit steigert das Empfinden für den eigenen Wert, so dass wir in Zukunft mutiger werden. Studien zeigen, dass wir mit einem derart flexiblen, wachstumsorientierten Mindset eher dazu bereit sind, neue Dinge auszuprobieren, da wir glauben, unsere eigenen Fähigkeiten ausbauen zu können. Und wieder gewinnen wir an Selbstvertrauen, wenn wir durch diese Einstellung beflügelt positive Erfahrungen machen – und die sind sowohl im Berufs- als auch im Privatleben die Folge, wenn wir Verantwortung übernehmen. Bereits im Vorstellungsgespräch wirken wir attraktiver auf den Personaler, wenn wir glaubhaft vermitteln können, dass wir eigeninitiativ Projekte anstoßen und die Konsequenzen unseres Handelns – auch bei Fehlern – tragen. Einem solchen Kandidaten kann der Arbeitgeber vertrauen und muss ihn auch nicht micromanagen, da er eigenen „Drive“ besitzt. Er kann von partnerschaftlichem Austausch auf sachlicher Ebene ausgehen. Außerdem steigert die eigene Wachstumserwartung das Engagement des zukünftigen Vorgesetzten, in unsere Weiterentwicklung zu investieren.
Auch in unseren privaten Beziehungen kommt es positiv an, wenn wir uns proaktiv an den gemeinsamen Pflichten wie Haushalt beteiligen, gemeinschaftliche Unternehmungen anstoßen und uns vor allem auch entschuldigen können, wenn wir mal einen Fehler machen, statt uns vor der Verantwortung zu drücken, auszuweichen oder die Schuld auf andere zu schieben. Wer keine Verantwortung übernimmt, löst im Gegenüber langfristig Ärger und Ablehnung aus. Das kann eine gefährliche Abwärtsspirale werden, wenn die Person in der Opferhaltung jene ermüdete oder ermahnende Reaktion des anderen erneut als Beweis sieht, wie ungerecht und gemein „die anderen“ oder „die Welt“ zu ihnen sind. Wenn in Beziehungen viel über „Schuld“ diskutiert wird, kann man das als Anlass nehmen, wieder mehr Eigenverantwortung übernehmen zu müssen. Und sei es, Beziehungen zu verlassen, die einem nicht guttun.
So gelingt es uns, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen
Da die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Handeln überhaupt nichts mit angeborenen Persönlichkeitsaspekten zu tun hat, sondern sehr stark von unserer Erziehung, unseren bisherigen Erfahrungen und unserer Einstellung abhängt, können wir sie in jedem Alter weiterentwickeln.
- Die mentale Grundlage schaffen
Das oben beschriebene „Wachstums-Mindset“ lässt sich trainieren. Beobachten Sie sich eine Woche lang im Alltag selbst und achten Sie darauf, welche begrenzenden Glaubenssätze Sie in Ihrem Kopf zu sich selbst sagen. Von „XY kann ich einfach nicht!“ über „Das ist ätzend und anstrengend.“ bis hin zu „Man kann da eh nichts dran ändern.“ bremsen wir uns oft bereits selbst aus, bevor wir nach möglichen Lösungen suchen oder ins Handeln kommen können. Versuchen Sie, bewusst umzudenken, indem Sie Ihrem inneren Zweifler konstruktive, mutige Glaubenssätze entgegenstellen: „XY ist mir bisher nicht leicht gefallen, aber ich will es versuchen und werde es bestimmt hinkriegen.“, „Das ist herausfordernd und ich finde sicher einen Weg, das Problem zu lösen.“ oder „Bestimmt kann ich irgendetwas tun.“ Versetzen Sie gleich in eine ganz andere Ausgangsposition. Probieren Sie auch, sich „Man“-Formulierungen ganz abzugewöhnen, denn damit schaffen Sie eine Distanz zu sich selbst („Man müsste …“). Sagen Sie konsequent „Ich“ – „Ich finde …“, „Ich will noch …“. So erinnern Sie sich selbst stets daran, dass SIE etwas tun können und dass es auf IHRE Einschätzung ankommt. Eine gute Brücke, um wieder in den Driver’s Seat zu kommen, ist die Umformulierung innerer Anschuldigungsgedanken. Stoppen Sie sich selbst, wann immer Sie sich bei folgenden Gedanken ertappen: „Ich kann ja nicht, weil ...“, „XYZ ist schuld, dass ich nicht ...“ oder „Wenn die Umstände anders wären, dann könnte / wäre ich ...“ Ersetzen Sie sie durch die Formulierung: „Ich lasse zu, dass XYZ oder die Umstände meine Freiheit einschränken!“ Und schon müssen Sie mit sich selbst in Verhandlung gehen, anstatt im Opfermodus zu verharren.
- Die eigenen Handlungsmöglichkeiten aufspüren
Sobald wir mental auf Eigenverantwortung gepolt sind, gilt es, ihr aktiv Ausdruck zu verleihen. Werden Sie zu einem lösungsorientierten Menschen, indem Sie auch in schwierigen Situationen einen Schritt zurücktreten, durchatmen und ruhig reflektieren, welche Möglichkeiten Ihnen zur Verfügung stehen. Beispiel: Der Beamer lässt sich eine halbe Stunde vor einer Präsentation nicht einschalten. Während manche an diesem Punkt bereits total frustriert sind, vielleicht laut schimpfen, in Panik verfallen oder mit einem resignierten „Heute geht auch alles schief!“ in sich zusammensacken, bleibt ein eigenverantwortlicher Mensch erst einmal gelassen. Er hat im besten Falle verinnerlicht, dass im Leben immer wieder Dinge nicht wie geplant funktionieren werden – und dass wir doch immer verschiedene Lösungen finden können. Entsprechend durchdenkt er seine Optionen: Er könnte einen Kollegen um Hilfe bitten, er könnte das Problem unter Angabe des Beamer-Modells googlen oder er könnte den IT-Support kontaktieren. Selbst wenn alle diese Möglichkeiten ausgeschlossen wären, könnte er immer noch improvisieren, die Präsentation etwa per Mail an die Teilnehmer schicken, sodass diese sie auf ihrem Smartphone anschauen können, oder er könnte sie ausdrucken. Werden Sie ein Mensch, der in Möglichkeiten denkt, indem Sie in jeder Situation trainieren, sich Ihre Handlungsoptionen bewusst zu machen. Mit der Zeit wird sich Ihre Aufmerksamkeit automatisch darauf richten, wie Sie eigenverantwortlich handeln können.
- Die Konsequenzen mutig annehmen
Wer Angst vor Fehlern, vor der Reaktion seiner Mitmenschen oder vor anderen potentiell negativen Konsequenzen hat, wird sich schwer damit tun, Eigenverantwortung zu übernehmen. In zwischenmenschlichen Beziehungen scheint ihm das „Ducken“ eine valide Möglichkeit, um Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Aus Angst vor negativen sozialen Folgen Fehler nicht zuzugeben, anderen auszuweichen oder gar zu lügen, kann niemals den gewünschten Effekt erzielen, dass die gegenseitige Beziehung floriert! Machen Sie sich klar, dass nicht zu handeln oder sich zu „drücken“ deshalb keine Lösungen sind, weil auch das im Gegenüber Enttäuschung oder Ärger auslösen kann.Überwinden Sie Ihre Angst für die Aussicht auf gute Beziehungsgestaltung. Trauen Sie Ihren Mitmenschen zu, dass sie die Wahrheit verkraften können, und überlassen Sie ihnen vor allem die Möglichkeit, auf die Fakten zu reagieren. Die Enttäuschung über Unehrlichkeit oder mangelndes Rückgrat würde Ihre Mitmenschen sich mit viel höherer Wahrscheinlichkeit von Ihnen abwenden lassen, als es der Fall wäre, wenn Sie einfach zu Ihrem Handeln stehen, Fehler zugeben und sich bei Bedarf aufrichtig entschuldigen.
Wer aus Perfektionismus mit einem Projekt nicht abschließt und immer wieder gegenprüft, um auch ja keinen Fehler zu übersehen, sollte einen Realitätscheck machen: In welcher Relation stehen der Stress des Hinauszögerns der Abgabe zu den möglichen negativen Konsequenzen, die nicht ganz perfekte Arbeit nach sich ziehen könnte? Wiegt es nicht schwerer, etwas gar nicht oder sehr verspätet fertigzustellen, als beherzt zu handeln und die Konsequenzen als wertvolles Feedback zu betrachten, an dem man weiter wachsen kann? Auf jemanden, der sich offen für Kritik zeigt, ist wesentlich mehr Verlass, als auf jemanden, der unflexibel auf Fehlerfreiheit pocht.
Fazit
Ob beim Gestalten Ihres (Berufs-)Lebens oder Ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen: Nur wenn wir darauf vertrauen, dass wir aktiv handeln können, und wenn wir diese Möglichkeit auch wahrnehmen, können wir unsere Persönlichkeit weiterentwickeln, uns in unseren Fähigkeiten verbessern und anderen gute Vorgesetzte, Mitarbeiter, Partner oder Freunde sein. Es ist daher unabdingbar wichtig, dass wir uns in Bezug auf die Verantwortung für unser Fühlen, Denken und Handeln weniger am Außen orientieren – was andere für richtig halten, wer sich wie verhält, wie die Umstände gerade sind –, sondern uns von unserer inneren Stimme, unseren Werten und eben unserem Anspruch auf Eigenverantwortung leiten lassen. Das Steuer unseres Lebens sollte stets in unseren eigenen Händen liegen.
Die wichtigste Grundlage für beruflichen Erfolg und persönliche Zufriedenheit bildet eine Lebensführung in Übereinstimmung mit Ihrer Persönlichkeit. Sie zu kennen, ist der erste Schritt. Mit unserem kostenfreien Schnuppertest bieten wir Ihnen die Möglichkeit, ihn zu gehen und einen ersten Einblick in Ihr Inneres zu erhalten.
15.03.2021