Negativität im Alltag – woher sie kommt und wie wir sie überwinden
von Ragnhild Struss
Jammern, Lästern, Kritisieren: Jeden Tag sind wir mit negativem Verhalten konfrontiert oder lassen uns selbst dazu hinreißen. Ragnhild Struss verdeutlicht, was sich dahinter verbirgt und wie wir unseren Fokus hin zu mehr Positivität verschieben können.
„Wie kann sie mit dem, was sie tut, erfolgreich sein, hast du mal ihre Website gesehen? Richtig schlecht!“. „Die Leute der Fortbildungsgruppe sind so einfach – die können gar nicht nachvollziehen, wie wir denken!“. „Mein Leben ist echt ätzend. Mein Chef nervt, meine Nachbarn nehmen null Rücksicht und die Pizza vom Lieferdienst ist dauernd kalt!“. Negativität zeigt sich in unserem Alltag mit vielen Gesichtern. Soziale Vergleiche triggern Neid – oder umgekehrt –, der mit Schlechtreden des gefühlt „Besseren“ gelindert werden soll. Es ist der Versuch, Konkurrenten durch Kritik auszustechen, um selbst an der Macht zu bleiben, Kontrolle auszuüben oder einfach nur sein Selbstwertgefühl aufzupolieren. Eine gewisse „Meckerkultur“ zu pflegen, bei der man sich über alles und jeden beklagt, ist – gerade in Deutschland – sogar salonfähig. So ist leider auch Lästern sozial fast anerkannt, dient es doch dazu, sich vermeintlich besser zu fühlen und gleichzeitig zu prüfen, ob unser Gegenüber unsere Einstellung teilt.
Woher Negativität kommt und was ihre Folge ist
Negative Gefühle entspringen im Grunde immer der Angst, etwas Wichtiges zu verlieren oder nicht zu bekommen. Was das ist, kann sich von Typ zu Typ unterscheiden und reicht von der Angst, ungeliebt zu sein, über das Gefühl mangelnder Sicherheit bis zu der Sorge, bekämpft oder nicht verstanden zu werden. Wenn Liebe, Frieden, Sicherheit, Respekt und Verständnis bedroht zu sein scheinen, entstehen daraus negative Gedanken und Gefühle in uns, die wiederum die Grundlage für negatives Verhalten bilden. So sind es im Grunde negative Emotionen wie Überforderung, Verletzlichkeit, Rivalität, Bedürftigkeit, geringes Selbstwertgefühl, Aggression, Trauer oder Hoffnungslosigkeit, die zu unterschiedlichen schlechten Verhaltensweisen führen. Denn um sich gegen die mögliche Bedrohung zu schützen und die Angst einzudämmen, entwickeln wir Strategien, um das negative Gefühl abzuwenden, entsprechend nennt man sie Abwehrmechanismen. Während manche die Opferrolle einnehmen, schlüpfen andere in die Position des Aggressors.
Das Problem: Durch diese Art der Reaktionen auf unsere Angst entsteht genau das Gegenteil von der Linderung, die man sich erhofft, nämlich stattdessen eine Negativspirale. So legt beispielsweise ein Mensch in der Opferrolle ein Anspruchsdenken an den Tag: Weil er den gefühlten Mangel als ungerecht empfindet, denkt er, die Welt sei ihm etwas schuldig – und lebt ständig in einer Vorwurfshaltung. Der Aggressor hingegen denkt, seine negativen Gefühle würden durch „Dampfablassen“ abgebaut werden – aber die davon ausgehende negative Energie potenziert sich im Umfeld, andere werden davon angesteckt. Diese Phänomene verdeutlichen einen zentralen Punkt der Negativität: Sie färbt immer auf andere ab. Aufgrund unserer Spiegelneuronen sind wir empathisch und fühlen – ob gewollt oder nicht – auch negative Energien unserer Mitmenschen stark mit. Unsere eigene Stimmung wird davon getrübt. Negative Menschen erschaffen sich mit ihrer Haltung meist noch mehr der gleichen (unerfreulichen) Realität: Getreu dem Motto „Where the focus goes, energy flows.“ trainieren sie sich einen Negativfilter an, „nähren“ Negatives in ihrem Leben durch übermäßige Aufmerksamkeit – und erschaffen so das, worüber sie sich aufregen, immer wieder neu. Das macht langfristig krank, verbittert oder depressiv.
Wie Sie auf die Negativität anderer reagieren können
Wenn Menschen in Ihrem Umfeld immer wieder negativ sind und Sie das belastet, sind Sie dem aber nicht ausgeliefert. Es gibt vieles, was Sie zur Verbesserung der Situation tun können. Legen Sie zunächst Ihren eigenen Fokus darauf, nicht das „Schlechte“ bei anderen (wie ihre negative Einstellung) abzuwehren, sondern das Gute zu fördern, quasi daneben zu stellen, ohne dem Negativen Aufmerksamkeit zu geben. Sprechen Sie zum Beispiel an, wenn die andere Person positive Erfahrungen macht: „Wie schön, dass dir das Essen heute so gut schmeckt!“ oder „Es freut mich, dass dir der gemeinsame Abend so gut gefallen hat!“. Machen Sie sich zudem klar: Verletzte Menschen verletzen Menschen. Im Grunde genommen ist die Negativität anderer ein verborgener Hilferuf.
Erleben Sie immer wieder, wie andere Menschen über jemanden lästern – oder sind Sie selbst zum Lästern geneigt, weil jemand Sie extrem aufregt –, dann stellen Sie dem Ganzen etwas Positives gegenüber. Selbst wenn nach Ansicht mancher Menschen bei einer Person neun von zehn Charaktereigenschaften „schlecht“ sind, konzentrieren Sie sich auf die eine gute und erwähnen Sie sie. Der Effekt vom Unterlassen des Lästerns ist automatisch positiv: Sie führen bessere Gespräche über echte Inhalte und bauen mehr gegenseitiges Vertrauen auf, weil ihr Gegenüber die Sicherheit gewinnt, dass Sie auch über ihn / sie nicht hinter deren Rücken schlecht reden.
Führen Ihre Bemühungen, Ihr Gegenüber mit Ihren positiven Anmerkungen in eine neue Richtung zu führen, zu nichts und empfinden Sie seine Negativität als extrem belastend, dann sprechen Sie das Thema ruhig offen und konstruktiv an: „Ich habe den Eindruck, du bist sehr oft genervt von verschiedenen Situationen. Woran könnte das liegen?“ oder „Es zieht mich ehrlich gesagt runter, wenn du dich jeden Tag so sehr über XY aufregst. Ich würde mir wünschen, dass du eine andere Einstellung dazu entwickelst bzw. dass das Thema nicht mehr so sehr unsere Gespräche dominiert.“ sind Möglichkeiten, wie Sie einen Austausch darüber in Gang setzen können.
Gibt es schließlich negative Menschen in Ihrem Umfeld, die sich partout nicht „retten“ oder „bekehren“ lassen wollen, ist meist die beste Option, sich von ihnen fortan fernzuhalten. Setzen Sie sich deren negativer Energie nicht länger aus – aufgrund eines Verpflichtungsgefühls oder weil Sie niemanden enttäuschen wollen. Sehr in ihrer Negativität verhaftete Menschen sind leider Energieräuber, vor denen Sie eine Schutzgrenze ziehen sollten. Denn es ist niemandem damit geholfen, wenn Sie nach Ihrem Austausch beide schlechter gelaunt sind als vorher und weniger Energie zur Verfügung haben.
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Wie Sie selbst zu einem positiveren Menschen werden
Sollten Sie beim Lesen dieses Artikels bemerken, dass Sie selbst zu den eher negativ eingestellten Menschen gehören, müssen Sie das nicht einfach hinnehmen, sondern können Ihre Haltung systematisch entwickeln. Wir kennen es alle: Wenn wir negativ denken und uns dementsprechend schlecht fühlen, dann ist es zunächst schwer da rauszukommen. Doch mit der Zeit können wir unseren Fokus hin zum Positiven verschieben.
Beginnen Sie damit, sich überhaupt bewusst zu machen, in welchen Bereichen oder in welchen Situationen Sie negativ denken oder sich dementsprechend verhalten. Denn wir können nur auf die Dinge Einfluss ausüben, die uns bewusst sind. Führen Sie deshalb eine Woche lang ein Stimmungstagebuch, in dem Sie im Laufe des Tages immer wieder Ihre negativen Gedanken festhalten, sobald sie auftreten. Nach ein paar Tagen sollten Sie ein ziemlich genaues Bild davon haben, welche Themen bei Ihnen immer wieder negativ behaftet sind. Erkennen Sie in einem nächsten Schritt an, dass diese negativen Gedanken eigentlich nur eine Informationsquelle für Sie sind: nämlich darüber, dass Sie auf dem „falschen Track“ sind und etwas in Ihrem Leben ändern müssen, um wieder glücklicher zu sein. Insofern bergen negative Empfindungen Heilungs- und Entwicklungspotenzial für Ihren Charakter und Ihre Lebensgestaltung. Erforschen Sie genau, woher Ihre Unzufriedenheit rührt, welche Angst den negativen Gefühlen im Kern zu Grunde liegt? Welches Ihrer Bedürfnisse nach Liebe, Frieden, Sicherheit, Respekt oder Verständnis wird nicht befriedigt? Oder sind Sie – beruflich oder privat – im falschen Umfeld, weil es Ihre innersten Werte nicht widerspiegelt? Werden Sie von negativen Glaubenssätzen wie „Ich werde nie Erfolg haben.“ angetrieben? Oder wird eine bestimmte Urangst von Ihnen in bestimmten Situationen getriggert bzw. ein Schattenanteil berührt? Zum Thema Schatten nach C. G. Jung erfahren Sie übrigens mehr in diesem Artikel.
Ganz wichtig: Gehen Sie liebevoll und tröstend mit sich selbst um! Erkennen Sie, dass hinter Ihrer Negativität eine Verletzlichkeit liegt – die Angst, nicht geliebt oder verstanden zu werden sowie die Angst bekämpft zu werden oder nicht mehr in Sicherheit zu sein. Sich selbst in seiner Negativität zu beobachten – statt zu bewerten –, quasi Forscher*in des eigenen Verhaltens zu sein, nimmt bereits die extreme Emotionalität aus bestimmten Themen und Situationen heraus und bringt Sie in den Driver’s Seat der Verantwortung zurück. Unterstützend sollten Sie einen positiven inneren Dialog trainieren: Statt in Ihrem Kopf stets auf Ihren vermeintlichen Makeln oder auf scheinbar ungünstigen Bedingungen herumzuhacken, gestalten Sie Ihre Gedankengespräche mit sich selbst möglichkeits- und umsetzungsorientiert. Fragen Sie sich nicht, ob Sie etwas schaffen können, sondern lieber „Wie kann mir das gelingen?“. Damit richten Sie Ihren Fokus auch gleich auf die konkreten Schritte und kommen ins Handeln. Etablieren Sie ein positives Selbstbild, indem Sie kontinuierlich positive Erlebnisse und Erfolge schriftlich festhalten – zum Beispiel in einem Lob- und Erfolgstagebuch – und so nach und nach Ihre Charakterstärken herausarbeiten, auf die Sie sich immer verlassen können.
Gelingt es Ihnen trotz versuchter Arbeit an sich selbst immer noch nicht, aus Ihrer Negativspirale herauszukommen, dann suchen Sie unbedingt Rat bei Freund*innen, Psycholog*innen und/oder Ärzt*innen.
Fazit
Jeder Mensch ist eher gut als schlecht und damit eher positiv als negativ in seinem Charakter. Das ist nur bei einigen unter einer Lawine von Angst und Unsicherheit verschüttet. Langfristig können wir uns nicht gut fühlen, wenn wir andere oder uns selbst abwerten. Je weniger wir unsere Energie ins Runtermachen fließen lassen, desto mehr steht uns davon für unser eigenes Wachstum zur Verfügung. Indem wir lernen, das Positive zu sehen, öffnen wir einen Gestaltungsspielraum und geben uns eine riesige Chance auf mehr Zufriedenheit mit uns selbst und mit unseren Beziehungen. Und unser Gefühl der persönlichen Freiheit ist ebenfalls um ein Vielfaches größer, wenn wir nicht von Negativem nach unten gezogen werden. Probieren Sie es aus und inspirieren Sie dabei andere – denn auch Positivität ist ansteckend!
23.11.2020