Passiv-aggressives Verhalten im Job – so gehen Sie damit um
von Ragnhild Struss
Einige Menschen sind nicht in der Lage, ihren Unmut direkt zu kommunizieren, sondern nutzen passiv-aggressive Verhaltensweisen, um sich auf indirekte Weise abzugrenzen. Das führt beim Gegenüber zu Ärger und Frustration. Ragnhild Struss zeigt auf, woher ein solches Verhalten rührt und wie Sie am besten darauf reagieren.
Die gestern um die Erledigung einer Aufgabe gebetene Kollegin, die auf Nachfrage betont unwissend säuselt: „Ach echt? Hm, daran kann ich mich gar nicht erinnern …“. Der Mitarbeiter, der Ihnen einen sarkastischen Spruch über Ihre mangelnde Kompetenz entgegenschleudert – und danach grinsend „War doch nur Spaß!“ sagt. Die Chefin, die nicht auf Ihre Frage reagiert, sondern so tut, als habe sie Sie nicht gehört. Der Kollege, der in der Endphase eines wichtigen Projektes einfach nicht mehr erreichbar ist. All das sind typisch passiv-aggressive Verhaltensweisen, die entweder direkte Auseinandersetzung verhindern oder den Anschein erwecken sollen, es handle sich um Versehen oder Spaß – in denen sich jedoch eine aggressive Intention versteckt. Als Reaktion darauf fühlen wir uns irritiert und gestresst und entwickeln sogar selbst aggressive Gefühle, während unser Gegenüber vermeintlich „doch gar nichts Schlimmes gemacht hat“ und sich vielleicht auch noch mit einem „Ich weiß gar nicht, warum du dich so aufregst!“ unwissend stellt. Wie können Sie am besten mit dieser verdeckten Wut umgehen? Was können Sie tun, wenn Menschen mit einem Lächeln verletzen, auflaufen lassen, mauern, chronisch ausweichen, Themen aussitzen und passiven Widerstand gegen jegliche Form von sozialer oder beruflicher (Leistungs-)Anforderung oder Erwartung leisten?
Was ist passiv-aggressives Verhalten eigentlich?
Bei passiver Aggression handelt es sich um ein negativistisches oder Trotzverhalten, oft als Reaktion auf wahrgenommene Auf- oder Anforderungen. Es wurde erstmals von dem amerikanischen Militärpsychiater William Menninger im Zweiten Weltkrieg beschrieben und benannt. Er beobachtete, dass einige Soldaten vorgaben, Befehle nicht zu verstehen, sarkastische Kommentare erwiderten oder Vorgesetzte hinter deren Rücken schlechtmachten. Sich passiv-aggressiv verhaltende Menschen senden widersprüchliche Signale aus und wollen so ihren Willen durchsetzen. Dabei üben sie damit eine viel größere Dominanz aus, als man aufgrund der indirekten Art annehmen würde. Passive Aggression geht einher mit dem Muster generalisierter negativer Einstellungen: Solche Personen haben das Gefühl, ungerecht behandelt, missverstanden oder zu sehr in die Pflicht genommen zu werden. Sie klagen häufig über ihr eigenes Leid oder Unglück, verfallen einem Opferdenken und übernehmen keine Verantwortung. Oft mürrisch und schlecht gelaunt, kritisieren sie gerne Autoritäten und zeigen widersprüchliche Verhaltensweisen, zum Beispiel sagen oder stimmen sie zunächst zu etwas zu, sitzen das Thema dann jedoch aus, verweigern sich oder sind unerreichbar.
Passiv-aggressives Verhalten kann als Abwehrmechanismus betrachtet werden, also als Strategie, um mit unangenehmen, meist unbewussten inneren Dissonanzen und Spannungen umzugehen (mehr zu Abwehrmechanismen erfahren Sie hier). Nach dem ICD-System der Weltgesundheitsorganisation ist passiv-aggressives Verhalten ab einem gewissen Maße sogar als Persönlichkeitsstörung einzuordnen. Eine mögliche Ursache ist in einem zwar liebevollen, aber extrem fordernden Erziehungsstil zu finden. Kinder, die nie gelernt haben, mit Aggressionen umzugehen und diese auf gesunde Weise zum Ausdruck zu bringen, versuchen dann, sich zwar weiterhin „brav“ und vorbildlich zu zeigen, widersetzen sich aber insgeheim gegenüber ihren Erziehungsberechtigten mit passivem Widerstand. Als Erwachsene bringen sie dieses Verhalten dann auch anderen Autoritäten und Vorgesetzten gegenüber auf. Passiv-aggressives Verhalten ist auch bei Narzissten zu beobachten, die dadurch andere bestrafen und sich als besser darstellen möchten. Im Allgemeinen tritt passiv-aggressives Verhalten dann auf, wenn Menschen ihre Grenzen nicht aktiv schützen können, etwa weil sie es nie gelernt haben oder weil sie es sich aufgrund strenger (eigener) Anforderungen an sich selbst nicht erlauben.
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An diesen typischen Verhaltensweisen erkennen Sie passiv-aggressive Menschen
Weil passiv-aggressive Menschen negative Emotionen wie Frust und Ärger nicht gut kommunizieren oder lösungsorientiert damit umgehen können, machen sie diesen Gefühlen über „Umwege“ Luft. Neben der offensichtlichen Neigung, ihrem Gegenüber ein schlechtes Gewissen zu machen oder dafür zu sorgen, dass ihr Ärger durch die irritierte Reaktion des anderen Ausdruck findet, sind folgende Merkmale typisch für passiv-aggressives Verhalten:
- Mangelnde Leistung: Passiv-aggressive Menschen erbringen im Arbeitskontext nur das absolute Minimum. Eine solche Person verweigert sich gerne und sieht das als gerechtfertigt an, da sie sich oft unfair behandelt fühlt.
- Sich dumm stellen: Die Person stellt Verabredungen als Missverständnisse dar, schiebt die Erledigung von Aufgaben auf, bis die Deadline nicht mehr erreicht werden kann und boykottiert auf indirekte Art das Erledigen von dem, was von ihr erwartet wird. So führt sie beispielsweise Ausreden an, warum sie mit einer bestimmten Aufgabe entweder nicht anfangen oder sie nicht beenden könne, oder sie arbeitet absichtlich so langsam oder schlecht, dass Projekte nicht abgeschlossen werden können und/oder scheitern. „Rein zufällig“ vergisst diese Person auch wichtige Informationen und Arbeitsaufträge.
- Schweigen und Ignorieren: Um andere zu „bestrafen“, reagiert die Person nicht mehr auf sie, gibt keine Antworten oder spielt vor, sie nicht zu sehen.
- Doppelbotschaften: Bei einer passiv-aggressiven Person entsteht in der Kommunikation eine Schere, zum Beispiel zwischen dem, was sie sagt, und der Art, wie sie es sagt oder wie sie sich verhält. Beispiel: „Mir ist egal, wo wir die Mittagspause verbringen, entscheidet ihr gerne.“, aber dabei angespannte Mimik bzw. gereizter Ton in der Stimme – oder die Person kann dann plötzlich aus vorgeschobenen Gründen doch nicht mit zum Essen, sagt aber nicht direkt, dass dies an der ihr nicht zusagenden Restaurantwahl liegt.
- Lästern: Die Person spricht hinter dem Rücken eines anderen schlecht über ihn oder verbreitet sogar gezielt Gerüchte, um ihm zu schaden.
- Pseudohumor: Verletzende Kommentare werden von der Person als „witzig“ dargestellt, nach dem Motto „Na, du verstehst aber auch keinen Spaß und bist überempfindlich!“.
- Schuld auf andere schieben: Gibt es Probleme, dann sollen andere zum Beispiel vergessen haben, die Person an einen Termin zu erinnern – oder sie findet andere unrealistische Schuldzuweisungen, mit der die Verantwortung von sich weggelenkt werden soll.
- Klassische Sätze: Die Person sagt gerne Sätze wie „Ach, ist jetzt auch egal!“, „Warum regst du dich so auf, so war das gar nicht gemeint.“, „Nein nein, es ist nichts …“, „Für deine Verhältnisse ist das gar nicht mal so schlecht.“ oder „Du verstehst das einfach nicht.“.
- Zusammenhang mit anderen Eigenschaften: Laut Adrian Furnham und John Crump vom University College London, die den Zusammenhang von passiv-aggressivem Verhalten mit den Big-Five-Persönlichkeitsdimensionen untersucht haben, sind dazu neigende Menschen eher emotional labil, eher introvertiert und verschlossen, weniger durchsetzungsstark und nicht sonderlich gewissenhaft. Ihnen fehlt es vor allem an Vertrauen und an starkem Selbstwertgefühl. Obwohl sie schnell wütend werden, sind sie besonnen, sprich, sie haben ihren Ärger sehr gut unter Kontrolle, zeigen ihn kaum offen, sondern bringen ihn eben über das Ventil der passiven Aggressivität zum Ausdruck.
- Langfristige Selbstsabotage: Je stärker das passiv-aggressive Verhalten ausgeprägt ist, desto mehr schaden sich die Betroffenen selbst, weil sie hinter ihrem Potenzial zurückbleiben, durch ihre Art und Weise weniger befördert werden und weniger nährende soziale Beziehungen haben.
Woran Sie an sich selbst bemerken, dass Ihr Gegenüber sich passiv-aggressiv verhält
Manchmal ist es einfacher, passiv-aggressives Verhalten anhand Ihrer eigenen Reaktion zu identifizieren. Wenn Sie die folgenden Aspekte in Reaktion auf jemanden bei sich erkennen, kann es gut sein, dass Sie es mit einem passiv-aggressiven Menschen zu tun haben:
- Der passiv-aggressive Mensch regt Sie regelmäßig auf, Sie empfinden ihn als unverschämt ignorant, haben das Gefühl, dass nichts und niemand ihn so richtig in Bewegung bringen kann. Eine passende Metapher, die Ihnen dazu einfällt, ist ein Esel, der stur und bewegungslos den Weg versperrt.
- Sie fühlen sich provoziert und sind im Umgang mit der Person plötzlich selbst sehr wütend, verstehen aber gar nicht so genau, warum.
- Wenn Sie Ihren Unmut äußern, wird die passiv-aggressive Person ruhig und stellt Sie als das Problem dar („Was hast du nur? Du regst dich aber auf …“) – so fühlen Sie sich irritiert und verstehen nicht richtig, was da gerade vor sich geht.
- Sie haben das Gefühl, Sie können der Person nicht vertrauen, zum Beispiel weil Ihnen die Doppeldeutigkeit in Ihrem Verhalten bewusst oder unbewusst auffällt.
- Sie können sich auf die Person nicht verlassen, da selbst bei Absprachen immer wieder „etwas dazwischenkommt“.
- Sie haben das Gefühl, Sie können die Person nicht „greifen“ – auf irgendeine Weise entzieht sie sich Ihnen immer und teilt nie die ganze Wahrheit mit, zum Beispiel wenn sie in Wirklichkeit etwas stört, sie aber „gute Miene zum bösen Spiel“ macht.
- Eine Konfrontation ist kaum möglich, denn die Person entgleitet Ihnen bzw. entzieht sich immer wieder.
- Sie sind genervt vom Sich-selbst-Schlechtreden der Person, weil es Ihnen wie eine Ausrede oder Entschuldigung vorkommt, welche die Person nutzt, um nicht ins Handeln zu kommen. Diese Opferhaltung macht Sie letztlich selbst aggressiv. Im Inneren hören Sie sich wütend „Oh Mann, das kann doch nicht sein!“ schnauben. „Ahhhh!!!“
- Sie fangen an, die schriftlichen oder mündlichen Aussagen der Person übermäßig zu analysieren, weil sie merken, dass sich dahinter ein Subtext verbirgt.
- Nach dem Energie-Ausgleichs-Prinzip übernehmen Sie mehr Verantwortung, weil Ihr Gegenüber seinen Teil nicht erfüllt. Ihnen fällt auf, dass Sie sich für immer mehr Dinge verantwortlich fühlen, während der andere immer weniger tut.
Wie Sie am besten mit dem passiv-aggressiven Verhalten anderer umgehen
- Am allerwichtigsten: Lassen Sie sich nicht provozieren!
Denn nach dem Energieausgleichsprinzip gilt: Je mehr Sie zetern und schimpfen, desto ruhiger wird Ihr passiv-aggressives Gegenüber – was am Ende Sie in die Rolle des „Querulanten“ drängt. Machen Sie sich klar, dass Ihr Gegenüber sich in den meisten Fällen nicht so verhält, um Sie bewusst zu ärgern, sondern weil es sich nicht anders zu helfen weiß und keine reifere Methode der Abgrenzung kennt. Sie können es einem solchen Menschen (und im Übrigen jedem Menschen) einfacher machen, wenn Sie das gegenseitige Vertrauen in Ihren zwischenmenschlichen Beziehungen stärken. Durch Ihr eigenes Vorbild können Sie anderen vermitteln, dass man einander positive Unterstützung gibt und dass zwischen Ihnen ein vertrauter Raum besteht, in dem sich jeder gefahrlos mitteilen darf. Zu diesem Vertrauen gehört auch, dass jeder seine Grenzen zeigen darf – das ist eine besonders wichtige Erfahrung für passiv-aggressive Menschen, die als Kinder oft das Gefühl hatten, sich nicht wehren zu dürfen, weil sie damit in ihrer Befürchtung die Gesamtsituation nur noch schlimmer machen. Es würde ihnen enorm helfen zu merken, dass sie ihren Ärger nicht mehr verdeckt zum Ausdruck bringen müssen, sondern offene Worte dafür finden dürfen.
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Spiegeln Sie die Wirkung Ihres Gegenübers, zeigen Sie Konsequenzen auf und setzen Sie Grenzen!
Zeigt die andere Person in einer bestimmten Situation passiv-aggressives Verhalten, dann lassen Sie sich nicht auf das „Spiel“ ein, sondern sprechen Sie auf konstruktive Art an, was Sie wahrnehmen, zum Beispiel „Ich habe das Gefühl, du möchtest diese Aufgabe nicht übernehmen. Wenn das so ist, würde ich mich freuen, wenn du es einfach offen sagst. Dann finden wir eine andere Lösung.“. Weisen Sie unbedingt auch darauf hin, dass Sie bestimmte sarkastische Kommentare nicht lustig finden, und bitten Sie Ihr Gegenüber, diese zu unterlassen. Beschreiben Sie genau, wie das Verhalten bei Ihnen ankommt, machen Sie deutlich, dass Sie nicht dazu bereit sind, so etwas zu billigen, und zeigen Sie persönliche Grenzen auf. Sagen Sie zum Beispiel einer Person, die andauernd ihr Zu-Spät-Kommen als passiv-aggressives Werkzeug einsetzte: „Ich treffe mich gerne mit dir. Aber da du jedes Mal zu spät kommst und es mich stresst, im Café auf dich warten zu müssen, komme ich dich ab jetzt nur noch besuchen.“ So können Sie im Allgemeinen praktische Regelungen finden, wie Sie fortan mit dem passiv-aggressiven Verhalten Ihres Gegenübers umgehen möchten. Halten Sie Absprachen mit einem Mitarbeiter beispielsweise stets schriftlich fest, etwa per E-Mail, damit die Person nicht mehr behaupten kann, sie könne sich nicht an eine Aufgabenzuweisung erinnern.
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Achten Sie auf klare Kommunikation und wenden Sie sich – wenn nötig – ab!
Beschreiben Sie Ihre Erwartungen, fordern Sie eindeutige Antworten ein und zeigen Sie Konsequenzen auf, die Sie dann auch folgen lassen sollten. Bleiben Sie im Gespräch bei sich und Ihren Wahrnehmungen, statt sich von Ihrem passiv-aggressiven Gegenüber „in seinen Film“ hineinziehen zu lassen. Am besten bereiten Sie sich auf solche Gespräche gut vor. Enttarnen Sie die Taktiken des anderen, akzeptieren Sie keine Entschuldigungen und Ausweichmanöver und sprechen Sie über tatsächlich stattgefundene (oder unterlassene) Handlungen, statt auf der Ebene der Absichtserklärungen zu argumentieren. Bei wiederholter Enttäuschung und Frustration als Reaktion auf das passiv-aggressive Verhalten ist es sinnvoll, sich von Ihren Erwartungen an sie zu lösen und sich in letzter Konsequenz von der entsprechenden Person zu trennen. Sie dürfen sich schützen! Diese Möglichkeit hängt selbstverständlich auch davon ab, ob Sie mit der Person in einem privaten oder einem beruflichen Verhältnis stehen. Die Gefahr ist nämlich, dass man immer wieder hofft, die passiv-aggressive Person möge ihr Verhalten ändern, und so abwartet und abwartet, während sich leider nichts ändert. Grenzen Sie sich eindeutig ab, indem Sie für den weiteren Umgang miteinander eine Konsequenz bestimmen – bei einer privaten Beziehung im Zweifel bis hin zum Kontaktabbruch.
11.10.2021