Raus aus dem Kontrollwahn – Wie Sie lernen, Vertrauen zu entwickeln
von Ragnhild Struss
Kontrolle ist ein Fass ohne Boden, das gilt auch im Job und besonders für alle, die viel Verantwortung tragen. Wer versucht, das Gefühl von Sicherheit über Kontrolle herzustellen, wird sich daran abarbeiten wie Sisyphos und trotzdem niemals zufrieden, also sicher sein. Ragnhild Struss gibt Tipps, wie Sie als Führungskraft lernen, Kontrolle abzugeben und Vertrauen zu entwickeln.
Vielleicht bemerken Sie bei sich selbst Tendenzen von übermäßiger Kontrolle und sogenanntem Micromanagement, oder aber Sie wissen sogar, dass es Ihnen schwerfällt, Ihren Mitmenschen, Ihrem Team, Ihren Geschäftspartner*innen zu vertrauen? Im ersten Teil des Artikels haben wir beschrieben, welche negativen Auswirkungen Micromanagement und extreme Kontrolle haben können, weshalb es sich lohnt, diesen Führungsstil zu überdenken und wie man einer micromanagenden Führungskraft am besten begegnet.
Mit den folgenden Tipps können Sie selbst aktiv dazu beitragen, dass Ihr eigenes Verhalten sich nicht negativ auf die Arbeitsatmosphäre und die Leistung Ihrer Mitarbeiter*innen auswirkt.
1. Vertrauen üben
In manchen Unternehmen mag es üblich sein, sich Vertrauen erst verdienen zu müssen – ein unglücklicher Start für eine Arbeitsbeziehung. Besonders im Beruflichen sollte der Grundsatz gelten: Wer es durch das Einstellungsverfahren geschafft hat und die interne Prüfung von Lebenslauf, Vorstellungsgespräch und persönlicher Begegnung durchlaufen hat und so sehr überzeugen konnte, dass es zur Vertragsunterzeichnung kommt, sollte ab hier einen Vertrauensvorsprung erhalten.
2. Positive Glaubenssätze etablieren
Wer Angst hat, muss kontrollieren, wer vertrauen will, braucht Mut. Mit positiven Glaubenssätzen können Sie akuten Anfällen von Kontrollwut entgegenwirken. Sagen Sie sich selbst ganz bewusst: „Ich darf vertrauen.“ – und beobachten Sie, was in Ihnen passiert. Wie Sie sich langsam entspannen, wie sich das Gefühl von Erleichterung ausbreitet.
3. Loslassen lernen
Vielleicht ist Ihr übermäßiges Kontrollbedürfnis auch gar nicht in Misstrauen begründet, sondern in der mangelnden Fähigkeit, loszulassen. Auch hier können Sie versuchen, mit neuen Glaubenssätzen aktiv gegenzusteuern. Sagen Sie sich: „Ich darf loslassen.“ und atmen Sie dreimal tief ein und aus, ohne sich auf etwas anderes als Ihren Atem zu konzentrieren. Außerdem könnten Sie sich selbst dabei unterstützen, das Delegieren zu erlernen. Unterteilen Sie Aufgaben nach ihrer Dringlichkeit und Wichtigkeit, identifizieren Sie die richtigen Mitarbeitenden für unterschiedliche Projekte, fangen Sie beim Abgeben mit kleinen Aufgaben an und nutzen Sie digitale Projektmanagement-Tools. Fokussieren Sie sich beim Führen außerdem mehr auf das Ergebnis als auf den Prozess, vereinbaren Sie Jours fixes mit Ihren Mitarbeitenden und zwingen Sie sich, zwischen den vereinbarten Terminen nicht „nachzuhaken“ und lassen Sie sich in einem Coaching bei diesem Prozess begleiten.
4. Macht abgeben
Manchmal steckt hinter starker Kontrollsucht auch die Annahme, selbst unersetzbar zu sein und alles besser zu können als die Mitarbeitenden. Hier lohnt es sich, diese Überzeugung zu hinterfragen und den eigenen Allmachtsfantasien den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn selbst wenn Ihre Kolleg*innen die Dinge anders umsetzen, als Sie es selbst tun würden, so ist es doch auch entlastend, nicht alles allein stemmen zu müssen. Schließlich gibt es meistens mehrere Wege zur Lösung eines Problems und verschiedene Ergebnisse, die zum selben Ziel führen.
5. Blickwinkel ändern
Wenn Sie generell misstrauisch sind und davon nicht ablassen können, probieren Sie doch mal, sich mit den eigenen Waffen zu schlagen. Wenn man nichts und niemandem vertrauen kann – warum sollten Sie dann sich selbst und Ihrer Wahrnehmung trauen? Wäre es dann nicht angebracht, auch dem eigenen Misstrauen nicht bedingungslos zu vertrauen?! Und sicher geglaubte Überzeugungen, wie die, dass Kontrolle besser ist als Vertrauen, kritisch zu hinterfragen?! Denken Sie mal drüber nach.
6. Fragen stellen
Hinter dem mangelnden Vertrauen steckt irgendwo tief in Ihnen die Angst, enttäuscht, verletzt, betrogen zu werden. Haben Sie sich schon mal gefragt, welchen Grund jemand haben sollte, Sie zu hintergehen? Fragen Sie sich: Warum sollte mich jemand belügen? Und sind die Menschen, mit denen ich mich umgebe, tatsächlich so unaufrichtig? Ist es fair, das zu unterstellen? Passt meine Sorge zu den realen Erfahrungen, die ich mit den betreffenden Personen bisher gemacht habe? Oder gäbe es tatsächlich mehr Belege in unserer gemeinsamen Vergangenheit dafür, dass ich diesen betreffenden Personen vertrauen kann?
7. Nutzen hinterfragen
Es kann auch hilfreich sein, sich zu fragen, ob das kontrollierende Verhalten tatsächlich zu den Ergebnissen führt, die Sie sich wünschen. Was bringt mir meine Kontrolle? Führt sie tatsächlich zu mehr Sicherheit? Oder vielleicht eher zu noch mehr Kontrolle? Und wie wirkt sich das kontrollierende Verhalten auf meine Mitmenschen aus? Wie fühlen sie sich dabei?
8. Menschenbild korrigieren
Wenn Sie ständig davon ausgehen, dass Mitarbeitende entweder absichtlich oder aus Versehen weniger leisten, als verlangt ist oder sie in der Lage wären bzw. Fehler vertuschen, ungenau sind, Informationen zurückhalten oder in irgendeiner Form gegen die Führungskraft handeln, dann zeichnen Sie sich womöglich durch eine hohe soziale Skepsis aus und sollten Ihr Menschenbild überprüfen. Vervollständigen Sie dafür spontan den Satzanfang „Menschen sind…“. Auch diese Überzeugung können Sie nämlich durch eine neue ersetzen, die es Ihnen erleichtert, an das Gute im Menschen zu glauben und zu vertrauen.
9. Selbstsabotage erkennen
Mit dem Wissen, dass auch Situationen, die wir uns nur innerlich vorstellen, reale Gefühle in uns auslösen, ist es schwer nachzuvollziehen, weshalb man sich ständig vorstellen sollte, wer einen wann, wie, wo und in welcher Sache belügt, betrügt oder hintergeht. Selbst wenn sich die Szenen nur im Inneren abspielen, haben sie Auswirkungen auf das Außen, auf den realen Kontakt. Nicht nur wird der argwöhnische, misstrauische Blick auf die Mitmenschen geschärft, je öfter man ihn praktiziert, auch entsteht durch extremes Misstrauen eine Atmosphäre, in der alle, die sich aufrichtig und fair verhalten, permanent zu Unrecht des Gegenteils beschuldigt werden. Unterm Strich wirkt sich mangelndes Vertrauen also negativ auf Ihre (Arbeits-)Beziehungen aus, und dieses destruktive Verhalten geht in dem Fall nicht von den Mitarbeitenden, sondern von Ihnen selbst aus. Wenn Sie sich diesen Mechanismus bewusstmachen, sind Sie schon einen großen Schritt weiter auf dem Weg in Richtung Vertrauen.
10. Tiefer blicken
Worum geht es hier eigentlich? Was wollen Sie mit der Kontrolle erreichen? Vermutlich geht es Ihnen als Führungskraft oder Unternehmer*in nicht ausschließlich darum, wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Hinter dem Kontrollbedürfnis steht möglicherweise auch der Wunsch, sich auf sein Team verlassen zu können und sicher zu sein, dass jede*r bei der Arbeit sein*ihr Bestes gibt und dass alle ein gemeinsames Ziel verfolgen. Vielleicht können Sie andere, weniger kontrollierende, Instrumente für sich entwickeln, mit denen Sie dieses Ziel immer wieder überprüfen können, wie z. B. interne Team-Events, Mitarbeiter*innen-Gespräche und den informellen Austausch in Flur und Kaffeeküche. Eventuell haben Sie aber auch selbst Angst davor, vor ihrem*r eigenen Vorgesetzten schlecht dazustehen, weil Sie am Ende eben auch zu wenig Vertrauen in Ihre eigenen Fähigkeiten haben? In diesem Fall ist es wichtig, am eigenen Selbstwertgefühl – speziell am Selbstvertrauen, dem inneren Verlass auf die eigenen Fähigkeiten – zu arbeiten.
11. Auslöser identifizieren
Wer ständig dabei ist, andere zu kontrollieren, buddelt vielleicht – bildlich gesprochen – neben der Grube. Anstatt sich zu fragen, wo die Mitarbeitenden möglicherweise gerade keine Kontrolle haben, könnten Sie sich fragen: An welcher Stelle meiner Arbeit, meines Lebens, habe ich gerade das Gefühl, keinen Überblick zu haben, die Kontrolle verloren zu haben? Wo fühlen Sie sich gerade nicht sicher, sind nicht im Vertrauen? Wenn Sie herausfinden, woher das Bedürfnis kommt, können Sie an der richtigen Stelle entgegenwirken, anstatt stellvertretend andere zu kontrollieren.
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Wie sieht ein Führungsstil aus, der auf Vertrauen basiert?
Die Erkenntnis mag erschreckend sein, aber Fakt ist: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Sie werden – mit allen Kontrollmechanismen der Welt – niemals die absolute Garantie haben, dass immer alles genau so erledigt wird, wie Sie es sich wünschen und dass sich all Ihre Mitmenschen und Mitarbeitenden stets aufrichtig und loyal verhalten. Und noch viel faszinierender: Selbst wer alles unter Kontrolle hat, fühlt sich nicht zwangsläufig sicher. Denn für echte Sicherheit braucht es das Gefühl des Vertrauen-Könnens. Die Frage ist deshalb, ob Sie gleich allen, mit denen Sie zu tun haben, von vorneherein Unaufrichtigkeit unterstellen wollen, nur weil es vielleicht eine oder zwei negative Erfahrungen in der Vergangenheit gegeben hat oder weil einige sich Ihren Vorgaben wiederholt widersetzt haben?! Die folgenden Fragen können Sie dabei unterstützen, Ihren Führungsstil zum Positiven zu verändern.
Welche Arbeitsweise wollen Sie honorieren?
Worum geht es Ihnen bei Ihrem Micromanagement? Geht es darum, inhaltlichen Output sicherzustellen? Die Erreichung langfristiger Ziele zu garantieren? Oder um den Beweis, dass alle ständig beschäftigt sind? Soll denjenigen am meisten Vertrauen entgegengebracht werden, die zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar sind? Die Sie über jedes Detail ihrer Arbeit informieren und ständig um Rat fragen? Oder denjenigen, die eigenverantwortlich und gewissenhaft arbeiten und am Ende entsprechende Ergebnisse abliefern, auch ohne, dass Sie im Detail wissen, wann und auf welche Art die Ergebnisse zustanden gekommen sind? Wenn Sie diese Grundsatzfragen für sich beantwortet haben, wird es Ihnen leichter fallen, an entsprechender Stelle Kontrolle abzugeben.
Welche Führungskraft wollen Sie sein?
Mit der Frage danach, welche Führungskraft Sie sein wollen, stellen Sie sich automatisch die Frage nach der gewünschten Beziehungsqualität in Ihrem (Arbeits-)Leben. Wem nicht vertraut wird, der öffnet sich nicht und entwickelt seinerseits Misstrauen. Wollen Sie jemand sein, der seinen Mitmenschen, in diesem Fall Mitarbeiter*innen, grundlos erstmal misstrauisch begegnet? Oder gibt es vielleicht auch die Möglichkeit, erst einmal mit Vertrauen in (Arbeits-)Beziehungen zu starten und davon auszugehen, dass das Gegenüber sich ebenso fair verhält wie man selbst? Sicher schadet es nicht, wenn Sie sich bei neuen Kontakten eine gewisse Vorsicht bewahren und nicht jedem sofort Ihr blindes Vertrauen schenken, doch es gibt auch einen Bereich jenseits der beiden Extreme von „komplett“ und „gar nicht“ zu vertrauen.
Wie hätten Sie’s denn gern?
Wissen Sie, ab wann Ihr Kontrollbedürfnis befriedigt wäre? An welchem Punkt hört die Kontrolle auf? Gibt es eine Grenze, ab der Kontrolle nicht mehr nötig ist, sondern Vertrauen an Stelle der Unsicherheit tritt? Nutzen Sie die Kraft der Imagination, um sich auszumalen, was Sie sich wünschen und was Sie brauchen, um vertrauen zu können. Wie sieht eine Zusammenarbeit aus, die auf gegenseitigem Vertrauen basiert? Welche Arbeitsmethoden müssten Sie dafür anwenden? Gibt es in Ihrem Inneren überhaupt eine Idee davon? Falls nicht: Versuchen Sie, sich aktiv vorzustellen, wie Sie sich im Kontakt mit Ihren Angestellten, Mitarbeiter*innen, Geschäftspartner*innen fühlen möchten. Wie es aussehen könnte, wenn Sie sicher wären, dass jede*r sein Bestes gibt und dass Sie auf derselben Seite stehen? Woran würden Sie merken, dass Sie sich wirklich auf Ihr Team verlassen können?
Fazit
Möglicherweise steckt hinter dem Bedürfnis, alles kontrollieren zu müssen, lediglich der Wunsch, eine gute Führungskraft zu sein und der Versuch, sich der eigenen Rolle zu versichern. Eventuell haben Sie innerlich keine Handlungsalternative als zu kontrollieren, weil es Ihnen schlichtweg an der Fähigkeit zu vertrauen mangelt. Vielleicht steht hinter dem Gefühl, nicht loslassen zu können und jedes Detail selbst entscheiden zu müssen, auch die Überzeugung, alles besser zu können, besser zu wissen und bessere Ergebnisse zu erzielen als alle anderen. Hier lohnt es sich, zu hinterfragen, ob das tatsächlich der Fall ist oder ob es sich nicht möglicherweise schlicht um Hybris handelt, also die Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten.
In allen drei Fällen heißt das Gegenmittel: Loslassen, den eigenen Selbstwert stärken und vertrauen. Denn Kontrolle führt in der Regel weder zu mehr Sicherheit noch zu mehr Leistung, sondern zu einem Kreislauf aus Misstrauen, Druck und Kontrollwahn, der sich selbst verstärkt und sich am Ende negativ auf Arbeitsklima, Produktivität und Unternehmenserfolg auswirkt.
Permanente Statusberichte, Absprachen und Freigaben von Detailfragen hemmen Motivation und Engagement. Vertrauen hingegen schafft Verantwortung. Wenn Sie lernen, Ihren Mitarbeitenden zu vertrauen, können diese lernen, eigenverantwortlich zu arbeiten und sich gemäß ihrem Potenzial zu entfalten. Sie erreichen damit viel mehr als jede Form der Kontrolle kann: Eine Arbeitsatmosphäre, die auf gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamen Zielen basiert, in der die Wertschätzung für die Arbeit der unterschiedlichen Persönlichkeiten im Team automatisch zu Verantwortungsübernahme, Loyalität und Leistung führt. Probieren Sie es aus.
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13.03.2023