Selbstfindung statt Selbstinszenierung: Wer bin ich ohne Follower und Likes?

von Ragnhild Struss
In einer Welt, in der digitale Präsenz mit beruflichem Erfolg und gesellschaftlicher Anerkennung verknüpft wird, stellt sich eine essenzielle Frage: Wer sind wir noch, wenn niemand hinsieht?
Social Media ermöglicht es uns, sichtbar zu sein, unsere Kompetenzen zu zeigen und unser Netzwerk zu erweitern. Doch mit der Möglichkeit zur Selbstpräsentation wächst auch die Gefahr der Selbstentfremdung. Wann wird aus der bewussten Inszenierung ein verzerrtes Selbstbild? Wann bestimmen Likes und Algorithmen mehr über unsere Identität als unsere eigenen Überzeugungen?
Die paradoxe Spannung: Wir müssen online präsent sein, um wahrgenommen zu werden – doch je mehr wir im Außen agieren, desto weniger Raum bleibt für echte Selbstreflexion. Das eigene Innenleben wird durch digitale Bestätigung gespiegelt, bis wir uns selbst, im schlimmsten Fall, nur noch durch die Reaktionen anderer wahrnehmen. Zeiten, in denen wir uns Ruhe gönne und die uns ermöglichen, auf unsere Intuitionen und unsere Wahrnehmung zu vertrauen, müssen wir bewusst von uns einfordern.
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Zwischen „echtem Ich“ und Online-Persönlichkeit: Die Gefahr der Fragmentierung
Jede*r, der in sozialen Netzwerken aktiv ist, spielt eine Rolle. Wir entscheiden bewusst oder unbewusst, welche Facetten wir zeigen und welche wir ausblenden. Das ist menschlich – doch je stärker wir uns mit dieser kuratierten Version identifizieren, desto größer wird die Diskrepanz zwischen unserem echten Selbst und unserem digitalen Abbild. Je weiter diese beiden Identitäten auseinanderklaffen, desto größer wird die innere Spannung. Die Folge ist eine kognitive Dissonanz – ein psychischer Konflikt, der entsteht, wenn das gelebte Selbstbild nicht mehr mit dem gefühlten Selbst übereinstimmt.
Verlust der Selbstwahrnehmung
Wir beginnen, uns selbst durch die Linse des Algorithmus zu sehen. Unser Wert misst sich nicht mehr an echten Erlebnissen oder tiefen Verbindungen, sondern an Reichweite, Likes und digitalem Applaus.
Selbstobjektivierung
Wir bewerten uns zunehmend aus der Perspektive eines Publikums. Unser Handeln wird nicht mehr nur von unseren Bedürfnissen gesteuert, sondern von der Frage, wie es nach außen wirkt.
Identitätskrise
Plötzlich bestimmen nicht mehr unsere inneren Werte, sondern digitale Trends und externe Bewertungen, wie wir uns selbst wahrnehmen. Was einst eine Plattform für kreativen Ausdruck war, wird zum Maßstab für unser Selbstbild.
Psychologische Folgen: Wenn Social Media zur emotionalen Belastung wird
Social Media ist nicht neutral. Es beeinflusst unser Denken, unsere Emotionen und unsere Wahrnehmung von uns selbst – oft subtil, aber tiefgreifend. Denn unser psychologisches Belohnungssystem reagiert auf die digitale Anerkennung. Jedes Like, jeder Kommentar aktiviert das Dopamin-System und wir erleben einen kurzen Moment der Bestätigung. Doch bleibt diese aus, fühlt es sich an wie sozialer Ausschluss. Wer schon einmal auf einer Bühne oder vor der Kamera stand, kennt dieses Gefühl: Endet der (digitale) Applaus und man ist mit sich allein, fühlt man plötzlich leer und einsam. Die Frage „Bin ich jetz noch relevant?“ beginnt, unser Selbstwertgefühl zu unterwandern.
Noch komplexer wird es, wenn der Algorithmus entscheidet, ob wir sichtbar sind oder nicht. Ein Post, der gestern noch große Reichweite hatte, bleibt heute unbemerkt. Wir haben nichts anders gemacht, und doch ist das Echo ein anderes. Plötzlich fühlen wir uns übergangen – und hinterfragen, ob wir etwas falsch machen. Das digitale Schaufenster zeigt uns die Erfolge anderer, während unsere eigenen Herausforderungen unsichtbar bleiben. Auch Posts zu „Fuck Ups“ und dem vermeintlichen Scheitern Anderer, sind am Ende an den Wunsch nach externe Reaktionen gekoppelt, anstatt aus uns selbst zu kommen.
Wann kippt die Selbstpräsentation in Selbstentfremdung?
Wenn du dich in diesen Fragen wiedererkennst, könnte es an der Zeit sein, innezuhalten und die eigene digitale Präsenz bewusst zu hinterfragen:
- Fällt es dir schwer, Inhalte zu teilen, die dir wirklich etwas bedeuten, wenn du weißt, dass sie weniger gut ankommen?
- Hast du das Gefühl, dein digitales Selbstbild steht im Vordergrund – und beeinflusst es deine Wahrnehmung von dir selbst?
- Glaubst du, dass deine Online-Präsenz sich verselbstständigt hat und nicht mehr ganz mit dem übereinstimmt, was du offline fühlst?
- Entscheidest du unterbewusst nach der Frage: „Passt das in mein digitales Narrativ?“ statt nach dem, was dir wirklich entspricht?
- Erlebst du Momente nicht mehr vollständig, weil du bereits darüber nachdenkst, wie du sie auf Social Media inszenieren könntest?
Raus aus der Vergleichsfalle: Authentizität im digitalen Raum leben
Social Media ist ein mächtiges Werkzeug – aber es sollte uns dienen, nicht bestimmen. Wie also gelingt eine bewusste Nutzung, ohne sich darin zu verlieren? Sich der Inszenierung bewusst werden: Zeige ich wirklich das, was mir entspricht – oder nur das, was performt? Wir alle präsentieren auf Social Media eine kuratierte Version von uns selbst. Das ist nicht grundsätzlich problematisch, denn schließlich wählen wir auch im echten Leben aus, was wir von uns preisgeben. Doch der entscheidende Punkt ist: Bestimmen wir noch selbst, was wir zeigen, oder lassen wir uns von Likes und Erwartungen leiten?
Übung: Sieh dir deine letzten fünf Beiträge an. Würdest du sie auch teilen, wenn du sicher wüsstest, dass sie keine einzige Reaktion bekommen? Falls nicht – warum? Diese Reflexion kann helfen, herauszufinden, wie sehr du dich von externen Erwartungen beeinflussen lässt.
Digitale Detox-Momente schaffen
Den eigenen Selbstwert unabhängig machen: Was bleibt von dir, wenn Likes, Follower und Reichweite plötzlich verschwinden würden? Social Media kann Bestätigung geben – aber es sollte nicht der Maßstab für deinen Wert sein. Viele von uns haben sich daran gewöhnt, digitale Anerkennung als Rückmeldung für Erfolg oder Kompetenz zu sehen. Doch wahre Entwicklung zeigt sich nicht in Zahlen, sondern in Erfahrungen, Fähigkeiten und Beziehungen.
Übung: Stelle dir vor, es gäbe kein Social Media mehr. Was würdest du dann tun, um deine Stärken und Erfolge zu erkennen? Vielleicht würdest du mehr reflektieren, Tagebuch schreiben oder Feedback aus echten Gesprächen schätzen lernen?
Following-Listen bewusst gestalten: Umgibst du dich digital mit Inspiration oder mit Druck?
Was wir täglich konsumieren, prägt unsere Gedanken, unser Selbstbild und unsere Emotionen. Ein Feed voller oberflächlicher Selbstdarstellung kann ein unterschwelliges Gefühl von Unzulänglichkeit erzeugen – auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind.
Übung: Gehe deine Following-Liste durch und frage dich bei jedem Account: Inspiriert mich dieser Inhalt wirklich? Erweitert er meinen Horizont? Fühle ich mich nach dem Konsum besser oder schlechter?
Achtsamer Konsum: Nutze Social Media bewusst und nicht als automatische Ablenkung.
Wie oft greifst du unbewusst zum Handy, um „nur kurz“ durch Instagram oder LinkedIn zu scrollen – und verlierst dabei mehr Zeit als geplant? Wie oft stehen wir an der Supermarktkasse und schauen auf unser Handy, statt einfach mal unsere Umgebung wahrzunehmen? Social Media ist darauf ausgelegt, unsere Aufmerksamkeit zu fesseln und unsere innere Unruhe mit bunten Bildern und Ablenkung zu befriedigen. Umso wichtiger ist es, sich klare Grenzen zu setzen.
Übung: Stelle dir vor jedem Scrollen folgende Fragen: Habe ich ein konkretes Ziel, oder öffne ich die App aus Gewohnheit? Möchte ich mich inspirieren lassen oder einfach nur Zeit vertreiben? Wie fühle ich mich, nachdem ich 10 Minuten auf dieser Plattform verbracht habe?
Social Media bewusst steuern – nicht umgekehrt
Die digitale Welt ist ein kraftvolles Instrument – doch sie sollte dich nicht bestimmen. Durch bewussten Konsum, ehrliche Selbstreflexion und klare Grenzen kannst du Social Media so nutzen, dass es dich bereichert, anstatt dich auszubrennen. Authentizität im digitalen Zeitalter bedeutet nicht, Social Media zu meiden, sondern es bewusst zu nutzen, anstatt sich davon steuern zu lassen. Wer sich seiner Werte, Grenzen und Bedürfnisse bewusst bleibt, kann die Chancen der digitalen Welt nutzen, ohne sich von ihr vereinnahmen zu lassen. Es geht nicht darum, perfekt kuratierte Inhalte zu posten oder sich völlig dem Algorithmus zu entziehen. Es geht darum, eine Balance zwischen digitaler Sichtbarkeit und echtem Selbst zu finden.
24.02.2025