„Stopp! Bis hierhin und nicht weiter!“ – warum es so guttut, eigene Grenzen zu erkennen und zu kommunizieren
von Ragnhild Struss
Vielen fällt es schwer, sich abzugrenzen. Dabei ist es für unsere psychische Gesundheit essenziell, durch klares Grenzensetzen für unsere eigenen Werte und Bedürfnisse einzustehen. Ragnhild Struss zeigt, wie dies gelingen kann.
Sagen Sie zu Dingen „ja“, obwohl sie eigentlich „nein“ meinen? Fühlen Sie sich erschöpft und ausgelaugt, nachdem Sie versucht haben, es anderen „rechtzumachen“? Latschen andere Menschen bisweilen über Ihre Grenzen, ohne es zu merken? Haben Sie manchmal das Gefühl, eher mitzuschwimmen, statt Ihr Leben selbst aktiv so zu gestalten, wie Sie es sich eigentlich wünschen? All das können Anzeichen dafür sein, dass Ihre Grenzaktualisierung ein Update braucht. Sei es, dass Sie Ihre eigenen Bedürfnisse und damit auch Grenzen nicht genügend wahrnehmen oder Ihrem Umfeld nicht ausreichend kommunizieren. Was bedeutet es eigentlich, persönliche Grenzen zu setzen, warum ist es so gesund für unsere Psyche und wie können wir Grenzen adäquat ziehen?
Persönliche Grenzen – eine Definition
Was ist mit „Grenzen“ gemeint? Der Begriff wird für verschiedene Bereiche genutzt – im Englischen gibt es dafür auch unterschiedliche Bezeichnungen, im Deutschen nicht. Er kann für eine Art physische oder politische Absperrung stehen, zum Beispiel Länder- und Grundstücksgrenzen (engl. „borders“). Und er kann als psychisches Konzept aufgefasst werden, als eine Art Schwelle, bis zu der man sich selbst als eigene Person wahrnimmt, zusammen mit allen Werten, Bedürfnissen und individueller Wohlfühlzone, die einen ausmachen (engl. „boundaries“). Dieser Artikel konzentriert sich auf das Thema „persönliche Grenzen“ und „sich abgrenzen“ aus psychologischer Perspektive.
Wie können wir uns veranschaulichen, was die „persönlichen Grenzen“ bedeuten? Die folgende Metapher hilft dabei: Stellen Sie sich vor, Sie leben in einem kleinen Haus mit einem Vorgarten und einem Zaun. Am Gartentor gibt es eine Klingel, auf einem kleinen Bildschirm im Haus können Sie sehen, wer vor der Tür steht. Bewusst Grenzen zu ziehen, bedeutet zu entscheiden, wem Sie welche Tür öffnen und wer Ihnen bis wohin näherkommen darf. Manche Besucher*innen bleiben am Gartenzaun stehen und Sie unterhalten sich ausschließlich über die Gegensprechanlage mit ihnen, während andere auf einen Tee in Ihr Wohnzimmer eingeladen werden.
Oder Sie stellen sich eine Art Blase um Sie herum vor, die markiert, dass dieser Bereich von anderen (oder Ihnen selbst!) nicht überschritten werden darf, damit Sie sich wohlfühlen. Er stellt Ihren persönlichen Raum von Authentizität hinsichtlich Ihrer Bedürfnisse, Präferenzen und Regeln dar. Das kann sich auf viele verschiedene Aspekte beziehen:
- Wie viel räumliche Distanz zwischen Ihnen und einer anderen Person empfinden Sie als angenehm, wenn Sie sich unterhalten?
- Wie häufig möchten Sie bestimmte Personen sehen?
- Welche Themen empfinden Sie als zu intim, um sie mit einer Kollegin zu besprechen?
- Welche Werte sind Ihnen heilig, sodass Sie ein ungutes Gefühl bekommen, wenn sie von anderen verletzt werden?
- Wie viel Bedürfnis nach Schutz und Ruhe haben Sie?
- Ab wann sind Sinneseindrücke eine Überforderung und bis wohin tun sie gut?
- Welche Regeln des Zwischenmenschlichen haben Sie definiert?
- Was sind Sie bereit mitzumachen, wenn andere Sie dazu auffordern, in welchen Situationen und mit welchen Risiken fühlen Sie sich wohl oder unwohl?
- Welche Art von Kommunikation tut Ihnen gut?
- Wie leben Sie auf eine Weise, bei der Sie sich selbst und Ihrer inneren Stimme treu sind, und ab wann fühlt es sich an, als ob Sie sich verstellen müssen?
Unsere persönlichen Grenzen können auch variieren, je nachdem, mit welcher Person wir interagieren: So darf uns beispielsweise unsere beste Freundin persönlichere Fragen stellen als unser Chef, und unser Partner darf uns körperlich näherkommen als unsere Nachbarin. Außerdem hat jeder Mensch unterschiedliche persönliche Grenzen – was der eine noch als angenehm empfindet, kann für den anderen schon unangenehm sein. So sind Humor und persönliche Offenheit maßgeblich vom eigenen Wesenskern sowie persönlichen Werten und Erfahrungen geprägt. Während der eine sehr offen Geschichten über sein Privatleben teilt, schätzt die andere ihre Privatsphäre und fühlt sich bei Fragen nach ihrer Lebensgeschichte unwohl. Und was eine Person als lustig empfindet, kann für eine andere beleidigend und unangemessen sein.
Warum es wichtig ist, eigene Grenzen wahrzunehmen und zu schützen
Grenzen zu setzen, ist eng mit dem Grundbedürfnis nach Autonomie (Selbstbestimmung) verknüpft. So geht es im Kontext von persönlichen Grenzen primär darum, eigene Bedürfnisse zu spüren, die für ein authentisches Leben erfüllt sein sollten. Im zweiten Schritt ist es wichtig, sie zu definieren, um sie anderen deutlich erläutern und dafür einstehen zu können, dass sie erfüllt oder zumindest geachtet werden, damit Sie ein selbstbestimmtes Leben führen können.
In der Enttäuschung über Grenzverletzungen liegt häufig der Anspruch, „das Gegenüber hätte es doch merken müssen“. Weil aber jeder Mensch individuelle Grenzen hat, ist das Gespür für die der anderen oft weniger ausgeprägt als gewünscht. Deshalb ist es wichtig, anderen die eigenen Grenzen deutlich und liebevoll mitzuteilen und sie offen nach ihren zu fragen. Gegenteilig zu dem, was wir glauben, passiert es jedem – auch uns selbst –, dass wir die Grenzen anderer unwissentlich und vor allem ohne böse Absicht überschreiten. Im Grunde sorgen wir nicht nur für uns selbst, sondern machen es auch anderen Menschen viel einfacher, gut mit uns umzugehen, wenn wir unsere Grenzen rechtzeitig aufzeigen. Das verbessert die Qualität unserer Beziehungen erheblich.
In unseren Beratungen werden wir immer wieder gefragt: „Wie kann ich besser ‚nein‘ sagen?“ Die eigenen Grenzen gegenüber anderen zu schützen, gelingt besonders gut, wenn man sie als ein „Ja“ zu sich selbst versteht. Erst dann wissen wir, was es zu schützen gilt und können daraus quasi automatisch ein deutliches „Nein“ zu Dingen ableiten, die wir nicht möchten. Dieses „Ja“ ist ein echter Liebesdienst an uns selbst. Es ist ein Akt der Selbstfürsorge und stärkt damit unser Selbstwertgefühl, aufmerksam gegenüber uns selbst zu sein und unsere Bedürfnisse wichtig zu nehmen – im Zweifel wichtiger, als anderen auf Kosten unserer Authentizität zu gefallen.
Nur wer seine Grenzen kommuniziert, wird für andere greifbar: Stellen Sie sich jemanden vor, der nie anecken und immer von allen gemocht werden möchte und entsprechend quasi nie Grenzen zeigt und setzt. Wer ist diese Person eigentlich, die sich immer an alle anpasst – und das vielleicht je nach Situation und Person auf unterschiedliche Weise? Was gefällt dieser Person wirklich? Was ist ihr wichtig? Weil sie immer das Gleiche zu wollen scheint, was die Menschen um sie herum gerade wollen, und wenig bis nichts von ihren Präferenzen und Werten preisgibt, ist das von außen kaum einschätzbar. Obwohl die unbewusste Intention einer solchen Person zwar häufig ist, Harmonie zu wahren, kann gerade dieses „Nicht-greifbar-Sein“ genau das Gegenteil erzeugen, indem es andere verärgert, die gerne ein „echtes Gegenüber“ hätten. Es bleibt eine seltsame Distanz im Verhältnis bis hin zu einem Gefühl, dass die auf Harmonie ausgerichtete Person nicht ganz authentisch ist. Das kann im Extremfall sogar das Vertrauen anderer zu dieser Person erschweren, weil man das Gefühl hat, keine ehrliche Meinung von ihr mitgeteilt zu bekommen.
Wer gut Grenzen setzt, vermeidet außerdem diffuse Gefühle der Unzufriedenheit und Wut: Wer immer wieder Dinge mitmacht oder erleben muss, die ihm eigentlich widerstreben, fühlt sich irgendwann in sich selbst in die Ecke getrieben, unauthentisch und unwohl. Unterdrückte Bedürfnisse und ungelebte Authentizität stauen sich auf und bahnen sich irgendwann den Weg aus dem Unbewussten in die gelebte Realität. Wut ist dann die Energie, mit der eigene Grenzen verteidigt werden, nachdem sie wiederholt überschritten wurden. Wut kann damit auch immer als Hinweis für überhörte Bedürfnisse gewertet werden.
Vielleicht gehören Sie zu den Menschen, die Angst haben, sich „zu viel herauszuholen“, wenn Sie klar Ihre Grenzen kommunizieren und jemandem mitteilen, dass Sie ein bestimmtes Verhalten nicht mögen. Klar, damit riskieren Sie, vielleicht die Grenzen des anderen zu überschreiten. Das Gegenargument ist das der Freiwilligkeit: Sollte jemandem Ihre Grenze nicht gefallen oder Sie als zu raumgreifend für sein eigenes Grenzverständnis empfinden, kann er sich in diesem Bereich Ihrer Beziehung ja weiter von Ihnen entfernen. Vielleicht ist das der Hinweis darauf, dass ein authentisches Verhältnis mehr Raum zwischen Ihnen beiden braucht – zumindest in einem Themenbereich. Ehrliche Kommunikation ist der Schlüssel zu Authentizität, sorgt für Vertrauen und besseres gegenseitiges Kennenlernen – ob man nun in einem sehr engen privaten Verhältnis steht oder auch in einem Arbeitsverhältnis.
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Warum es uns manchmal schwerfällt, Grenzen zu setzen, und was wir dagegen tun können
- Wir haben Angst, anderen vor den Kopf zu stoßen oder sie zu verärgern, wenn wir eine Grenze setzen: Das ist der wohl häufigste Grund, denn neben Autonomie ist eines unserer wichtigsten psychologischen Grundbedürfnisse das nach Bindung und Zugehörigkeit, sprich wir wollen von der Gruppe angenommen werden. Wir fragen uns: Werden die anderen mich noch mögen, wenn ich ihnen widerspreche, sie bitte, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen oder ihnen eine Bitte abschlage?
Denkanstoß: Zunächst einmal sollten wir uns selbst klarmachen, dass wir die Kapazität anderer, mit unserer Grenzsetzung umzugehen, meistens unterschätzen. Das Gegenüber hat oft viel mehr Verständnis für uns und unsere Bedürfnisse, als wir vorher annehmen. Darüber hinaus entstehen daraus gute, tiefgründige Gespräche mit viel gegenseitigem Verständnis füreinander und mehr Nähe. Denn wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse und Grenzen offenbaren, laden wir das Gegenüber ein, es uns mutig gleichzutun. Außerdem sollte die Verantwortung dort verbleiben, wo sie hingehört: Wie jemand anders mit der Kommunikation unserer Grenzen umgeht, ist sein*ihr Thema. Die Verantwortung für die Reaktion liegt beim Gegenüber.
Beispiel: Sie weisen freundlich darauf hin, dass Sie eine bestimmte Art von Witzen über Sie nicht mögen und bitten, diese Art von Kommentaren zu unterlassen. Ein „Oh, du verstehst ja gar keinen Spaß!“ verletzt oder verärgert Sie vielleicht zunächst. Aber weder sollten Sie zurückrudern noch für diese Reaktion die Verantwortung übernehmen. Statt die Gegenwehr als eine qualitative Aussage über Ihre Grenze zu werten, erkennen Sie besser, dass Ihr Gegenüber damit etwas über sich selbst verrät. Vielleicht merkt es insgeheim, dass sein Verhalten wirklich nicht akzeptabel war, fühlt sich schuldig oder schämt sich dafür und geht deswegen in die Defensive. Oder vielleicht hat es andere Werte bzw. eine andere Vorstellung davon, welche Art von Humor witzig ist. Eine derart unterschiedliche Einstellung könnte bedeuten, das Verhältnis zu der Person in Nähe und Häufigkeit einschränken zu wollen.
Und schließlich macht der Ton die Musik: Die eigenen Grenzen in Form einer „Ich“-Aussage auf ruhige, nicht vorwurfsvolle Art zu kommunizieren, ist immer erfolgversprechender. In diesem Beispiel könnten Sie positiv formulieren: „Ich fühle mich verletzt, wenn du solche Witze über mich machst. Ich weiß, du meinst es sicher nicht böse, aber ich würde mich dennoch freuen, wenn du damit aufhörst.“ Weniger gut formuliert wäre etwa: „Du verhältst dich mir gegenüber echt asi mit deinen extrem gemeinen Witzen! Kannst du mal aufhören mit diesem nervigen Verhalten? Du bist total unsensibel!“
- Wir kennen unsere eigenen Grenzen gar nicht, weil wir nicht genau wissen, was unsere Bedürfnisse, Werte und Präferenzen sind: Viele haben bereits in der Kindheit gelernt, dass die Bedürfnisse und Wünsche anderer wichtiger sind als die eigenen. Indem das Kind immer „brav“ war und die Aufmerksamkeit nicht auf sich selbst gelenkt hat, hat es mit der Zeit verlernt, seine innere Stimme überhaupt zu hören und die eigenen Bedürfnisse und Präferenzen klar wahrzunehmen.
Denkanstoß: Was wir oft schon in der Kindheit „verlernt“ haben, können wir uns wieder antrainieren – nämlich mit Achtsamkeit gegenüber uns selbst. Das beginnt damit, sich anzugewöhnen, mehrmals täglich einen Moment innezuhalten, durchzuatmen und bewusst in den eigenen Körper hineinzufühlen. „Wie geht es mir gerade? Was brauche ich, um mich (wieder) wohlzufühlen? Was könnte ich mir gerade selbst Gutes tun?“ Das könnte zum Beispiel so aussehen: eine Arbeitspause einlegen, etwas Bewegung, ein inspirierendes Lied hören, das Gespräch mit einem nahestehenden Menschen suchen, der Vorgesetzten klar sagen, dass die Kapazitätsgrenze erreicht ist, etc.
Außerdem sollten wir innerhalb sozialer Situationen Zeit schaffen, um die Möglichkeit zu haben, im Innen zu erkunden, was wir eigentlich wirklich wollen und was nicht. Eine goldene Regel dafür ist: Reagieren Sie nie sofort auf Bitten oder Anfragen, sondern sagen Sie kategorisch „Danke für dein Vertrauen in mich. Darüber denke ich nach und gebe dir morgen eine Rückmeldung.“. So können Sie in Ruhe erspüren, wie Sie eigentlich zu einer Sache stehen, statt vorschnell „Ja“ zu sagen und damit eventuell eigene Grenzen zu überschreiten.
Um Ihre Werte zu ermitteln, können Sie als Übung aus einer Liste von Werten Ihre wichtigsten fünf aussuchen, aufschreiben und verinnerlichen, wie sehr sie Ihnen am Herzen liegen. Fragen Sie sich anschließend: Wie müsste ich meine bestehenden Beziehungen gestalten, um konsequent nach meinen Werten zu handeln? In entsprechenden Situationen erinnern Sie sich dann leichter daran, was Ihnen eigentlich guttut und was nicht.
Eine Grenze definiert den Raum, bis zu dem ein anderer Ihnen nahekommen kann und Sie sich gleichzeitig noch selbst lieben. Um die Frage nach zwischenmenschlicher Nähe und Distanz (auch eine Grenzthematik) zu beantworten, können Sie sich auf einem Blatt Papier in die Mitte zeichnen und dann mit mehreren größer werdenden Kreisen umranden. Denken Sie nun an Menschen in Ihrem Umfeld und schreiben Sie ihre Namen in die Kreise – wie nah oder fern sollen einzelne Personen zu Ihnen aufgestellt sein?
- Zusatztipp: Keine Notlügen! Trauen Sie sich, wirklich ehrlich zu sein. Ein wichtiger Aspekt für gesundes Abgrenzen ist, nicht in die Notlügenfalle zu tappen. Niemanden verletzen zu wollen, sollte uns an erster Stelle selbst mit einbeziehen. Die eigene Wahrheit mit einer Lüge zu verraten, um anderen zu gefallen, schmälert das eigene Selbstwertgefühl. Alles lässt sich gleichermaßen ehrlich und diplomatisch formulieren: „Ich muss dir leider für die Party absagen, weil mich meine Arbeitswoche so erschöpft zurücklässt, dass ich nicht in der Stimmung für soziale Interaktion bin. Sobald es mir energetisch besser geht, melde ich mich, um ein Treffen zu zweit zu vereinbaren.“ oder „Es ist lieb von dir, dass du mir bei der Datenpflege helfen willst. Ich habe aber mein ganz eigenes System dafür und würde es daher gerne alleine tun.“. Auf der anderen Seite muss ein „Nein“ nicht erklärt oder gerechtfertigt werden, wie das Buch von Megan LeBoutillier „No is a complete sentence“ sagt. Manchmal tut es auch ein freundliches „Nein, das geht nicht.“.
- Konsequenzen ziehen: Sollten Ihre Grenzen trotz deutlicher Hinweise nachhaltig nicht geachtet werden, liegt der Fehler nicht mehr bei Ihnen. Bevor Sie durch die wiederholte Grenzüberschreitung womöglich noch Ihre Selbstachtung verlieren, sollten Sie einen Schlussstrich – die ultimative Grenze – ziehen. Machen Sie deutlich, dass Sie derartige Beziehungen nicht tolerieren und entfernen Sie sich von dem entsprechenden Gegenüber, indem Sie den Kontakt loslassen.
Inspirationsliste: So kann gesundes Grenzensetzen aussehen
- Der Chefin mitteilen, dass die eigenen Kapazitäten ausgelastet sind und man ein bestimmtes Projekt erst zu einem späteren Zeitpunkt bearbeiten kann. „Da ich gerade an meiner Kapazitätsgrenze arbeite, kann ich dieses Projekt im Moment nicht zusätzlich annehmen. Gerne können wir aber die Prioritäten bestehender Projekte reevaluieren, um Kapazitäten freizumachen.“
- Dem gesprächigen Kollegen freundlich zu verstehen geben, dass man noch viel zu tun hat und deshalb das Gespräch jetzt abbrechen möchte. „Sei mir nicht böse, dich hier unterbrechen zu müssen. Ich habe noch so viel zu tun, dass ich mich jetzt sputen möchte.“
- Von der Kollegin, die uns im Meeting zu nah „auf die Pelle“ rückt, bewusst räumlich etwas Abstand nehmen, sodass wir uns mit unserem persönlichen Raum wieder wohlfühlen. „Du kannst das nicht von mir wissen, aber nach einem Meeting brauche ich immer ein bisschen Zeit und Raum für mich, um mich zu kalibrieren. Deshalb gehe ich nun an meinen Platz zurück.“
- Der besten Freundin spätabends sagen, dass man gerade keine Energie mehr hat, um ihre Beziehungsprobleme telefonisch zu besprechen. „Du, ich bin gerade sehr müde. Ich schlage vor, dass wir das Gespräch an dieser Stelle unterbrechen und es in ein paar Tagen wieder aufnehmen, ok?“
- Auf den eigenen Körper hören, der vielleicht gerade Ruhe braucht, während die Freunde sich für eine Party vorbereiten. „Geht ihr schon mal vor, ich muss mich noch kurz sammeln. Wenn ich später noch die Energie habe, komme ich nach.“
- Dem Partner sagen, dass man in der gemeinsamen Wohnung Bereiche ganz für sich selbst braucht. „Für meine energetische Gesundheit wünsche ich mir einen kleinen Raum in unserer Wohnung, der nur mir gehört. Ich dachte an den Schreibtisch im Gästezimmer und würde mich freuen, wenn du mich in meinem Wunsch unterstützt.“
- Den eigenen (älteren) Kindern sagen, dass man nach der Arbeit eine Stunde Zeit für sich braucht, um neue Energie zu sammeln, und danach noch mit ihnen spielen kann. „Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, brauche ich eine kleine Weile für mich, um meine Batterien wieder aufzuladen. Sobald ich aus meinem Zimmer rauskomme, bin ich wieder für euch ansprechbar.“
Fazit
Auch, wenn es vielen von uns ein wenig bedrohlich vorkommt: Sich auf gesunde und gleichzeitig diplomatische Weise abzugrenzen, kommt als Akt der Selbstfürsorge unserem Grundbedürfnis nach Selbstbestimmung nach und ist dementsprechend wichtig für unser psychisches, seelisches und körperliches Wohlbefinden. Deshalb ist es für jede*n hilfreich, unter die Lupe zu nehmen, wie gut er*sie eigene Grenzen wahrnehmen und anderen mitteilen kann.
Wer die eigenen Grenzen ungerne verteidigt oder sie kaum wahrnimmt, kann das gezielt trainieren – durch eine neue positive Einstellung gegenüber dem Schützen eigener Grenzen gepaart mit Übungen, im Alltag zu erkennen, was man braucht, und dafür auch einzustehen. Denn last but not least: Wenn wir auf gesunde Art Grenzen setzen, profitieren nicht nur wir selbst davon, sondern entgegen unserer Befürchtung liegt darin großes Gestaltungspotenzial für unsere Beziehungen. Andere lernen so, wer wir wirklich sind und wie sie am besten mit uns umgehen können. Bestenfalls fühlen sie sich ermutigt, eigene Grenzen deutlicher zu kommunizieren. Und wenn sie das nicht von sich aus tun, lohnt sich eine offene Frage danach!
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25.09.2023