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#Persönlichkeitsentwicklung

Vergebung: So befreien Sie sich selbstbestimmt von negativen Gefühlen

Vergebung: So befreien Sie sich selbstbestimmt von negativen Gefühlen

Egal ob kurze zwischenmenschliche Begegnungen oder langlebige Beziehungen: Hin und wieder passiert es im Kontakt mit anderen, dass wir verletzt werden – oder uns zumindest verletzt fühlen. Wer negative Erfahrungen nicht gut verarbeiten oder loslassen kann, für den wiegen Schmerz und Groll oft nachhaltig schwer und trüben die Lebensfreude. Ragnhild Struss zeigt, wie wir uns mit Vergebung selbst heilen können. 

Die beste Freundin hat unseren Geburtstag vergessen. Der Ehepartner will sich scheiden lassen. Ein Autofahrer fährt einen Radfahrer an, der danach wegen schwerer Brüche auf unbestimmte Zeit nicht mehr laufen kann. Von eher kleinen Alltagsenttäuschungen über einschneidende Lebensereignisse bis hin zu traumatischen Erfahrungen: Es gibt diverse verletzende Situationen, die uns emotional zu schaffen machen und negative Gefühle von Enttäuschung bis Rachegelüsten gegenüber dem „Täter“ in uns auslösen. Je negativer die unverarbeiteten Emotionen sind, desto geneigter sind wir, die Begebenheit nicht zu verzeihen und unseren inneren Groll aufrechtzuerhalten. Paradoxerweise kommt uns ein derartiges Festhalten gerecht vor. Wir wollen es der anderen Person „mal gründlich zeigen“, wollen, dass sie ihren Fehler einsieht. Aber ein berühmtes Buddha-Zitat lautet: „An Ärger festzuhalten ist wie Gift trinken und erwarten, dass der andere dadurch stirbt.“ Und es macht sehr deutlich, dass die wesentlich stärkere, gesündere und selbstbestimmtere Wahl die Vergebung ist. 

Was Vergebung bedeutet

Unter Vergebung versteht man die mentale Reaktion eines Menschen auf tatsächliches oder angenommenes Fehlverhalten anderen, bei der dieser Mensch, der sich als Opfer des Verhaltens empfindet, auf einen Schuldvorwurf verzichtet. Dabei wird unabhängig von Fragen der Schuld, der Schwere oder der Folgen einer Tat die menschliche Unvollkommenheit anerkannt, um das Geschehene akzeptieren zu können. Es geht dabei aber nicht um Gutheißen, sondern um Loslassen. Um überhaupt vergeben zu können, brauchen wir ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz: Wir müssen einerseits unsere eigenen Emotionen wie Trauer, Schmerz, Wut oder Hass in und mit uns selbst verarbeiten, andererseits müssen wir uns auch in den „Täter“ hineinversetzen können und der Person als solche vergeben, ungeachtet ihrer Fehler. Entsprechend fällt Vergebung leichter, wenn die andere Person „nur“ aus mangelnder Besonnenheit oder aus Versehen so gehandelt hat, dass wir verletzt wurden – bei Taten mit zugrundeliegender böser Absicht ist der Prozess des Vergebens deutlich erschwert.

Wenn Menschen sagen, sie können jemandem nicht vergeben, meinen sie oft etwas anderes. Denn Vergebung ist beispielsweise nicht mit Vergessen (die verletzende Tat wird nicht mehr erinnert) oder mit Nachsicht (die Verantwortlichkeit des Täters wird relativiert) gleichzusetzen. Auch bedeutet es nicht, dass man die Folgen der Tat akzeptiert, billigt, argumentativ rechtfertigt oder dass der Täter strafrechtlich begnadigt wird. Vergebung sagt nichts darüber aus, ob wir jemanden als „schuldig“ empfinden oder sein Verhalten irgendwie doch akzeptieren – es handelt sich dabei lediglich um unsere persönliche Entscheidung, unsere negativen Gefühle gegenüber dem Täter loszulassen und ihm nicht weiter Vorwürfe zu machen. Auch wenn wir vergeben, können wir beispielsweise den Kontakt zu einem Menschen abbrechen, den wir nicht mehr länger in unserem Leben haben wollen, weil sein Verhalten uns nicht guttut.  

Am Anfang steht die Aussprache

Wenn uns jemand verletzt hat, dann ist ein erster wichtiger Schritt, unseren Gefühlen Ausdruck verleihen. Noch lange bevor wir entscheiden, ob wir zur Vergebung bereit sind, sollten wir unserem Gegenüber mit einem offenen Austausch die Gelegenheit geben, zu reagieren und sich zu entschuldigen. Auf diese Weise für uns einzustehen, ist extrem wichtig für unser Selbstwertgefühl! Also sollten wir zunächst ein klärendes Gespräch vereinbaren und den Mut aufbringen, unseren eigenen Unmut zu äußern. Groll findet nämlich oft „im Dunkeln“ statt, wenn wir alleine mit unseren Empfindungen sind. Bringen wir jedoch die Kraft für eine Aussprache auf, klären sich Missverständnisse häufig.  Vergeben ist vor allem dann nötig, wenn der andere – wie ein solches Gespräch zeigen wird – keine Einsicht hat und wir trotzdem nicht auf den negativen Gefühlen „sitzenbleiben“ wollen.

Welche Folgen es hat, wenn wir nicht vergeben

Während es bei kleineren Vorfällen noch einfach sein mag, unserem Gegenüber zu vergeben, fällt es uns nach tieferen Verletzungen schon sehr viel schwerer. Wir fühlen uns als Opfer – jemand anders hat etwas getan, was unseren Selbstwert angegriffen, unsere Urängste getriggert, uns emotionalen Schmerz bereitet oder uns sogar physischen Schaden zugefügt hat. Manche Wunden heilen nur langsam und in einigen Fällen tragen wir für immer Narben davon. Dem Täter nicht zu vergeben, erscheint uns als „fair und gerecht“: Er hat uns geschadet, jetzt werden wir uns für immer von ihm abgrenzen, indem wir ihm das Fehlverhalten auf ewig nachtragen. 

Das Problem: Wenn wir unser inneres Wohlbefinden davon abhängig machen, ob und wie der Täter eine Einsicht hat oder sich entschuldigt, geben wir ihm viel zu viel Macht. Wir sind von seiner Persönlichkeitsentwicklung und Reife abhängig und erlauben ihm, uns nachhaltig zu verletzen. Ohne Vergebung halten wir unsere negativen Gefühle aufrecht, ja, wir füttern sie regelrecht. Jedes Mal, wenn wir an die verletzende Tat denken, kommen die schmerzhaften Emotionen wieder in uns hoch und es geht uns schlecht. Immer, wenn der Name des Täters fällt, werden wir an den Vorfall erinnert. Indem wir die Geschichte, wie uns übel mitgespielt wurde, wieder und wieder erzählen – anderen oder auch nur uns selbst in unserem Kopf –, beeinflussen wir nachhaltig unser Selbstbild, unsere Wirkung auf andere Menschen und unsere künftigen Erfahrungen. Wir haben vielleicht Probleme, in unseren Beziehungen zu neuen Personen wieder Vertrauen aufzubauen, trüben unsere eigene Lebensfreude ein und erleben möglicherweise sogar psychosomatische Probleme wie Herzrasen oder Magenschmerzen, über die sich unsere negativen Gefühle zeigen. Psychologen sprechen in schweren Fällen von einer posttraumatischen Verbitterungsstörung, bei der ein Mensch komplett von seinem Anhaften an schmerzhaften Erfahrungen eingenommen ist. In solchen Fällen ist psychotherapeutische Hilfe unabdingbar. 

Warum Vergebung pure Selbstbestimmung ist

Auch wenn jemand anders etwas Schlimmes getan hat – über Vergebung entscheiden wir selbst! Wir haben es in der Hand, nicht länger in der Opferrolle zu verharren, sondern wieder zum Akteur zu werden. Wir bestimmen, welche Geschichte wir über uns selbst und unser Leben erzählen: die einer „gebrochenen“ Person oder die von jemandem, der sich trotz schmerzhafter Erfahrungen nicht hat unterkriegen lassen. Wir können bewusst unseren Blick nach vorne richten und den Ballast in unserem emotionalen Rucksack abwerfen – um in Zukunft wieder offen und vertrauensvoll gegenüber anderen zu sein. Machen Sie sich klar: Vergebung ist nicht etwas, was Sie für den „Täter“ tun – sondern vor allem für sich selbst und IHR Wohlbefinden! Sie ist ein Akt der Selbstliebe und Selbstbefreiung. Denn vor allem, wenn wir nicht damit rechnen können, dass unser Gegenüber in Form einer Erkenntnis, einer Entschuldigung oder einem Reuegefühl auf uns zukommt, können wir so für uns selbst Sorge tragen. Wir tun uns mit unserer Vergebung selbst einen riesigen Gefallen, um uns nicht mehr länger mit negativen Gefühlen quälen zu müssen. 

Selbst wenn Sie immer noch Schmerz empfinden, können Sie vergeben. Denn während eine emotionale Verletzung ihre Zeit braucht, um zu heilen, ist Vergebung eine aktive Entscheidung, die Ihren Fokus von dem Vorfall weglenkt. Von Verzeihen wird dann gesprochen, wenn wir uns mit dem Täter über den Vorfall austauschen und ihn wissen lassen, dass wir ihm vergeben. Das geschieht oft, nachdem sich der andere entschuldigt hat. Aber selbst ohne Entschuldigung können Sie vergeben – und zwar ganz für sich, ohne dass der Täter etwas davon weiß. Damit befreien Sie sich von den giftigen Auswirkungen des Ereignisses. Und Sie können vergeben unabhängig davon, wie Sie künftig zu dem anderen Menschen stehen möchten – ob Sie sich wieder annähern möchten, zum Beispiel in Familie, Freundschaft oder Partnerschaft, ob Sie den Kontakt beenden möchten oder ob Sie den Täter vielleicht gar nicht persönlich kennen (etwa bei Fahrerflucht).

Wie Sie die Vergebung in die Tat umsetzen

Während sich in manchen Fällen Vergebung „wie von selbst“ nach einem längeren Verarbeitungsprozess einstellt, ist es sehr hilfreich, diesen Wechsel der eigenen Einstellung bewusst zu vollziehen. Hierzu können Sie beispielsweise laut zu sich selbst (oder zu der anderen Person) sagen: „Ich vergebe dir all deine Taten, mit denen du mir Schmerz zugefügt hast. Ich verzichte von nun an darauf, dir deine Schuld vorzuhalten. Ich wende meinen Fokus von dir ab und konzentriere mich wieder auf mich.“ Nach diesem klaren Cut sollten Sie jeden inneren Impuls, sich wieder in die negative Erfahrung hineinzusteigern, unterbinden. Wenn unangenehme Gedanken und Gefühle in Ihnen aufkommen, sagen Sie sich innerlich „Ich habe Person XY vergeben.“ und stellen Sie sich vor, wie Sie alles Negative wie Kreide auf einer Tafel mit einem nassen Schwamm wegwischen. 

Alternativ oder zusätzlich können Sie Ihre Emotionen auch schriftlich verarbeiten, zum Beispiel in einem Brief oder Tagebucheintrag, und so Ihre Vergebung ausdrücken. Vielleicht hilft es Ihnen, in dem Schriftstück noch einmal zu benennen, auf welche Weise die Tat des anderen Sie verletzt hat. Machen Sie danach jedoch deutlich: „Ich habe mich jetzt dazu entschieden, dir zu vergeben. Ich lasse los.“ Sie können auch beschreiben, wie dieser Entschluss Sie beflügeln wird, etwa „Ich werde von nun an befreit sein von der Last meiner negativen Gefühle und positiv nach vorne blicken.“. Anschließend können Sie auf verschiedene Weisen verfahren: Vor allem, wenn Sie eine Beziehung retten wollen, schicken Sie der anderen Person den Brief oder – noch besser – tauschen Sie sich (zusätzlich) in einem Gespräch mit ihr aus. Möchten oder können Sie den Täter nicht mehr erreichen, etwa weil Sie nicht wissen, wo er jetzt wohnt, oder weil er verstorben ist, betrachten Sie das Schreiben einfach als hilfreichen Akt für sich selbst. Einigen Menschen hilft es auch, als symbolischen Akt des Loslassens das Geschriebene danach „auszulöschen“, zum Beispiel durch Zerreißen und Wegwerfen des Briefes oder durch (vorsichtiges!) Verbrennen. 

Fazit

Wir können nicht darüber entscheiden, ob uns andere Menschen Schmerz zufügen. Selbst in den besten zwischenmenschlichen Beziehungen kann es immer mal dazu kommen, dass man sich gegenseitig verletzt. Und solange wir leben, sind wir auch der Gefahr ausgesetzt, beispielsweise in Unfälle oder andere tragische Ereignisse verwickelt zu werden. Die Konsequenz sollte jedoch für uns nicht sein, dass wir uns vor allen Menschen verschließen und einmal erlebte Enttäuschungen wie eine Rüstung um unser verletzliches Inneres tragen. Wir haben es in der Hand, uns durch Vergebung wieder „in die eigene Kraft“ zu bringen und den Rest unseres Lebens neu zu schreiben. 

 

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