Warum es heute so schwer ist, sich für einen Karriereweg zu entscheiden

von Ragnhild Struss
Ein Realitätscheck für Eltern von Abiturient*innen
Dein Kind macht bald Abitur – und plötzlich stehen nicht mehr Matheklausuren oder GFS-Präsentationen im Fokus, sondern die viel größere Frage: Was soll ich mit meinem Leben anfangen? Auszeit, Ausland, Studium, Ausbildung? Und in welche Richtung überhaupt? Nachhaltigkeit, Kreativbranche, Wirtschaft, Medizin, Tech? In dieser Phase prallen Wünsche, Erwartungen und Unsicherheiten aufeinander – nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei ihren Eltern.
Und vielleicht spürst du auch: Deine gut gemeinten Ratschläge kommen nicht immer an. Oder dein Kind blockt ab, weicht aus oder wirkt wie gelähmt bei der bloßen Frage nach dem nächsten Schritt. Das ist kein Trotz – sondern Überforderung. Denn die Realität der Berufswelt hat sich seit deiner eigenen Jugend radikal verändert.
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Selbstwahrnehmung im Dauerfeuer der digitalen Welt
Zugegeben, wir alle sind online. Aber was Social Media heute mit jungen Menschen macht, ist eine ganz andere Liga. Dein Kind wächst in einer Welt auf, in der Instagram, TikTok & Co permanent neue Maßstäbe setzen: Wer bin ich – und wie werde ich wahrgenommen? Die ständige Vergleichbarkeit, das Hochglanzleben anderer, die schiere Menge an „Traumberufen“, die auf Feeds inszeniert werden, überfordert viele. Es fehlt nicht an Inspiration – es fehlt an Orientierung.
Die Folge? Die Fähigkeit, sich selbst realistisch einzuschätzen, gerät ins Wanken. Was macht mich wirklich aus? Was interessiert mich tiefgehend – jenseits von Trends? Die Innenwahrnehmung wird durch Likes, Follower und die scheinbare Coolness bestimmter Jobs überlagert. Viele Jugendliche verlieren dadurch den Kontakt zur eigenen Intuition. Und: Sie trauen sich oft nicht, ihren wahren Interessen zu folgen, wenn sie nicht mit dem digitalen Idealbild übereinstimmen.
Eine explodierende Welt voller Möglichkeiten – und Fallstricke
Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten 20 Jahren massiv verändert. Und seit der Einführung von ChatGPT ist nichts mehr wie vorher. Während deine Eltern vielleicht noch zwischen "Bank oder Lehramt" überlegt haben und du selbst mit einer Handvoll Studiengänge jongliert hast, sieht dein Kind sich heute einem Markt gegenüber, der schier grenzenlos erscheint – und zusätzlich extrem unübersichtlich ist.
Mehr als 20.000 Studiengänge allein in Deutschland. Internationale Angebote, duale Studienmodelle, digitale Ausbildungsformate. Den klassischen „Beruf fürs Leben“? gibt es nicht mehr. Stattdessen flexible Laufbahnen, befristete Verträge, Projektarbeit, New Work, KI als neue Kollegin. Und während all das aufregend klingt, ist es auch einschüchternd: Denn wer kann mit 17 oder 18 sagen, was er wirklich will – wenn er noch gar nicht weiß, wie sich die Welt in fünf Jahren anfühlt?
Viele Jugendliche erleben diesen Überfluss an Möglichkeiten nicht als Freiheit, sondern als Bedrohung. Unter Stress wird der Fokus enger. „Wenn ich mich falsch entscheide, verbaue ich mir die Zukunft“ – diese Angst schleicht sich oft unbemerkt in die Gedankenwelt ein. Statt neugierig zu wählen, wird der erste Schritt zur Qual.
Die stille Kluft zwischen den Generationen
Vielleicht hast du selbst klare Vorstellungen, was ein „guter“ Beruf ist. Vielleicht hast du selbst früh Verantwortung übernommen, bist nach dem Studium direkt ins Berufsleben gestartet, hast dich durchgebissen. Genau das ist vielen jungen Menschen heute nicht mehr selbstverständlich – und nicht, weil sie weniger können oder weniger wollen.
Die Werte haben sich verschoben. Die sogenannte Generation Z, zu der dein Kind gehört, wächst mit dem Wunsch nach Selbstbestimmung, Flexibilität und Sinn auf. Sicherheit ist nicht mehr nur ein fester Arbeitsvertrag – sondern ein Job, der psychisch nicht auslaugt. Ein Team, das wertschätzt. Eine Aufgabe, die Bedeutung hat. Das ist nicht naiv, sondern ein neuer Anspruch – entstanden aus dem Bewusstsein, dass seelische Gesundheit und berufliche Erfüllung nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten.
Und genau da entsteht oft ein Missverständnis. Was für dich nach Zögern aussieht, ist für dein Kind Reflexion. Was für dich wie Unentschlossenheit wirkt, ist in Wahrheit der Versuch, in einer komplexen Welt einen authentischen Weg zu finden.
Und jetzt?
Die Welt ist komplexer geworden. Und ja – es ist heute viel schwieriger, einen klaren Karriereweg zu wählen, als es noch vor einer Generation der Fall war. Aber genau deshalb braucht es nicht mehr Druck, sondern mehr Verständnis. Nicht noch mehr Optionen, sondern mehr Klarheit. Und vor allem: Zeit, sich selbst wirklich zu begegnen – ohne Filter, ohne Erwartungen, ohne Angst, falsch zu liegen.
Wenn du das im Hinterkopf behältst, wirst du für dein Kind weit mehr als Ratgeber sein, nämlich Resonanzraum – und genau das macht den entscheidenden Unterschied.
Gerade helfen keine Argumente? Unsere Beraterin Anna hat einen Text geschrieben, der Hilft, die eigene Lage zu verstehen. Hier geht’s zum Text.
04.04.2025