Wieder mal zu spät: Welcher Unpünktlichkeits-Typ sind Sie?
von Ragnhild Struss
Unpünktlichkeit gilt als unhöflich. Die wenigsten Zu-spät-Kommer lassen andere jedoch aus böser Absicht warten. Doch steckt tatsächlich nur schlechtes Zeitmanagement hinter andauernden Verspätungen – oder gibt es auch unbewusste psychische Gründe, die für dieses Muster sorgen?
Die gute Freundin, die wie immer zehn Minuten später am vereinbarten Treffpunkt eintrifft. Der Chef, der wieder mal zwanzig Minuten zu spät zum Meeting erscheint – welches ohne ihn noch gar nicht starten konnte. Oder der vorbildliche Kollege, der jedes Mal eine halbe Stunde vor Beginn zur Party aufschlägt, während die Gastgeber noch die Schnittchen schmieren. All das sind Formen der Unpünktlichkeit, hinter denen häufig System steckt. Klar, jeder kommt mal zu spät, weil er den Bus verpasst oder etwas Wichtiges zuhause vergessen hat. Wiederholt sich das unpünktliche Erscheinen jedoch ständig, gibt es dafür verborgene Gründe, die den Betroffenen meist selbst nicht bewusst sind. Fällt es auch Ihnen schwer, auf die Minute pünktlich zu Verabredungen zu erscheinen? Dann können Sie mit den folgenden Beschreibungen herausfinden, welcher Unpünktlichkeits-Typ Sie sind – und wie Sie dieser Neigung begegnen.
1. Der Optimist
Wissenschaftliche Befunde legen nahe, dass ein Großteil der chronisch unpünktlichen Menschen außerordentlich optimistisch ist, was die Einschätzung von Zeiten angeht: Der Optimist unterschätzt, wie lange er für eine Aufgabe brauchen wird, und in seiner Vorstellung dauert die Anreisezeit zu einem Treffpunkt kürzer, als dies in Wirklichkeit der Fall ist. Ganz zuversichtlich geht er davon aus, dass er schnell arbeiten bzw. sich fortbewegen kann – und jedes Mal stellt sich erneut heraus, dass er dabei leider die eigenen Fähigkeiten, die Verkehrslage oder die günstigen Umstände überschätzt hat. So gerät er regelmäßig bei nahenden Deadlines in Stress, weil „doch noch so viel“ zu tun ist, und lässt andere warten, weil „man eigentlich nur 15 Minuten für die Strecke braucht, wäre da nicht der Stau gewesen“.
Die Lösung für den Optimisten: Um sich vor Negativem zu schützen, haben Optimisten meist schon in ihrer Kindheit die Einstellung entwickelt, dass „alles schon passen bzw. gutgehen“ wird. Vor allem, wenn sie keine nennbaren Konsequenzen für ihr ständiges Zu-spät-Kommen erfahren, bestätigen sie ihr eigenes Weltbild immer wieder selbst durch abmildernde Einschätzungen: „Hey, die anderen waren zwar kurz genervt über meine Verspätung, aber war ja nicht so schlimm.“ oder „So dringend war die Deadline auch nicht, meine Abgabe einen Tag später war noch völlig im Rahmen.“. Die Lösung besteht im ersten Schritt in der Erkenntnis, dass es eine Frage des Respekts ist, sich an vereinbarte Zeiten zu halten und andere nicht ausharren zu lassen. Das ist wichtig, damit der Optimist überhaupt den Wunsch entwickelt, an seiner Unpünktlichkeit zu arbeiten. Im zweiten Schritt hilft es dann, grundsätzlich ein Viertel der eingeplanten (und in der Regel zu positiv geschätzten) Zeit draufzuschlagen, um sich einen Puffer zu verschaffen. Außerdem kann bei zurückzulegenden Wegen ein objektiver Gegencheck sinnvoll sein, zum Beispiel, indem man eine Strecke in einer Maps- oder ÖPNV-App eingibt und sich die benötigte Zeitspanne für das Zurücklegen ausrechnen lässt.
2. Der heimliche Rebell
Manche Menschen kommen immer nur fünf Minuten zu spät. Sie haben nicht das Problem wie die Optimisten, dass sie beispielsweise Anfahrtszeiten vorab völlig falsch einschätzen. Denn eigentlich wissen sie, wann sie sich auf den Weg machen müssten, um pünktlich zu sein. Aus irgendwelchen Gründen schaffen sie es aber nie, einfach die benötigten fünf Minuten früher loszugehen, um ihre chronische Verspätung in Pünktlichkeit zu verwandeln. Fragt man sie, woran das liegt, werden sie häufig mit „Ich musste nur noch kurz eine Mail beantworten / meine Katze füttern / etwas bei der Post abgeben.“ antworten – und so die Verantwortung auf äußere Verpflichtungen schieben. Dabei hätten sie diese Aufgaben ja nicht kurz vor knapp noch erledigen müssen. Was steckt also hinter diesem mysteriösen Muster?
Die Lösung für den heimlichen Rebellen: Diesem Typus ist oft selbst nicht bewusst, dass er mit seiner stetigen Unpünktlichkeit auf einen inneren Autonomie-Konflikt reagiert. Der Hintergrund: Manche Menschen sind in ihrer Kindheit oder später in ein starres Regelkorsett gezwängt oder stark kontrolliert worden. Ihre Unpünktlichkeit stellt eine heimliche Rebellion dagegen dar und löst diesen Konflikt in ihrem Inneren auf. Denn sie demonstrieren damit bewusst oder unbewusst: „Niemand schreibt mir vor, wann ich mich auf den Weg zu machen habe. Das entscheide ich ganz alleine.“ Die Lösung besteht darin, diesen Mechanismus an sich zunächst überhaupt zu erkennen. Dann gilt es sich bewusst zu machen, dass nicht alle sozialen Übereinkünfte – wie die Vereinbarung einer Uhrzeit für einen Termin – dazu dienen, die persönliche Freiheit einzuschränken: Sie sind einfach praktisch und ermöglichen eine effiziente Planung. Weiterhin können Betroffene sich mit dem Thema Autonomie auseinandersetzen und Wege finden, ihr eigenes Gefühl von Selbstwirksamkeit und -bestimmtheit auszubauen – damit sie nicht mehr gegen vermeintliche Fremdbestimmung rebellieren müssen. Das gelingt zum Beispiel, indem man sich neues Wissen aneignet, Dinge selbst in die Hand nimmt und in allen Lebensbereichen bewusst eigene Entscheidungen trifft. Die gewünschte Abgrenzung kann auch erreicht werden, indem man lernt, ohne schlechtes Gewissen „nein“ zu sagen und die eigenen Bedürfnisse (auch) zur Priorität macht, statt sich nur nach den Wünschen anderer zu richten. Sich innerlich eher auf ein „Ich will“ zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort sein, anstatt sich an einem inneren „Ich muss“ aufzureiben, kann auch für mehr Pünktlichkeit sorgen.
3. Der Aufmerksamkeits-Junkie
Alle haben sich bereits vor einer halben Stunde am Treffpunkt eingefunden – da öffnet sich die Tür und ein spezieller Zu-spät-Kommer betritt das Parkett: Vorhang auf für den Aufmerksamkeits-Junkie! Denn seine Unpünktlichkeit dient dem Zweck eines kleinen Auftritts, bei dem er alle Blicke auf sich zieht, damit er auch ja wahrgenommen wird. Einige Vertreter dieses Typus unterstreichen ihre mehr oder weniger bewusste Intention zusätzlich mit auffälligen Outfits und „unglaublichen“ Geschichten, die scheinbar ihre Verspätung erklären sollen – in Wirklichkeit meist aber auch nur dazu dienen, sich die Aufmerksamkeit der bereits Anwesenden zu sichern. Pünktlich bei Verabredungen zu erscheinen, wäre für diesen Menschen gleichbedeutend mit einem „Versinken in der Masse“ – und das möchte er um jeden Preis vermeiden.
Die Lösung für den Aufmerksamkeits-Junkie: Bei einigen Personen, die sich durch ihr Zu-spät-Kommen in Szene setzen, stecken narzisstische Tendenzen dahinter. Sie sind davon überzeugt, dass ihnen besondere Beachtung zusteht – und die nehmen sie sich wenn nötig auf diese Weise selbst. Auch ohne Narzissmus-Anteile versteckt dieser Typus hinter seiner selbstbewusst wirkenden Außenpräsentation eine tiefsitzende Unsicherheit, nicht liebenswert zu sein bzw. die Angst, übersehen zu werden. Durch frühe Kindheitserfahrungen – entweder Verwöhnung oder Vernachlässigung – hat der Aufmerksamkeits-Junkie gelernt, dass ihm „die Bühne“ zusteht bzw. dass er sich in den Mittelpunkt drängen muss, um überhaupt mal beachtet zu werden. Im Erwachsenenalter dieses Muster zu erkennen, ist der erste Schritt. Dann sollten Betroffene an einem stabilen Selbstwertgefühl arbeiten. Einerseits, indem sie sich unabhängiger von der Bewunderung anderer machen und sich selbst bereits aufrichtig sagen können „Ich bin liebenswert und toll“. Andererseits, indem sie die Rücksichtslosigkeit in ihren Verspätungen erkennen und verstehen, dass die so erhaltene Aufmerksamkeit nicht die Art von „Liebe“ ist, die sie sich im zwischenmenschlichen Bereich eigentlich wünschen.
4. Der "Go with the flow"-Typ
Ebenfalls in Studien nachgewiesen ist das unterschiedliche Zeitempfinden verschiedener Menschen: Pünktliche Typen neigen eher dazu, bereits vergangene Zeit länger einzuschätzen, als das eigentlich der Fall ist. So kommt ihnen zum Beispiel eine tatsächlich vergangene Minute häufig so vor, als seien bereits fünf Minuten vergangen. Beim „Go with the flow“-Typen ist es umgekehrt: Er unterschätzt zurückliegende Zeitspannen konsequent, weil seine innere Uhr anders tickt. Beispielsweise denkt er, dass er „nur mal kurz für ein paar Minuten“ in einem Buch gelesen hat – beim Blick auf die Uhr stellt er jedoch fest, dass schon eine ganze Stunde vergangen ist. Mit diesem Grundgefühl von „Es ist noch ganz viel Zeit“ neigt dieser Typus auch dazu, sich ablenken zu lassen, da ihn solche spontanen Einschübe in seinem Empfinden nicht viel Zeit kosten. Auf dem Weg zu einem Termin unterhält er sich also gegebenenfalls noch in Ruhe mit Bekannten, die er zufällig trifft, macht noch einen „kurzen“ Abstecher zum Kiosk – alles mit dem Gefühl, bestimmt noch in der Zeit zu sein. Bis er dann auf die genervte Person trifft, die bereits seit einer Viertelstunde auf ihn wartet …
Die Lösung für den „Go with the flow“-Typen: Während dieser Typ sich selbst meist sehr gelassen, entspannt und stressfrei fühlt, kann er pünktliche Menschen mit seiner „verträumten“ Art besonders auf die Palme bringen. Personen mit einem starken Empfinden des Zeitüberflusses sollten sich also klarmachen, dass andere Zeit auf völlig verschiedene Weise wahrnehmen und ihnen jede Minute heilig ist. Diese wertvolle, in deren Wahrnehmung eher knapp bemessene Zeit dann mit Warten verschwenden zu müssen, stresst die Pünktlichen enorm. Da die „Go with the flow“-Menschen nicht aus böser Absicht handeln, hilft ihnen diese Erkenntnis, um die Motivation für eine Verbesserung ihres Zeitmanagements aufzubringen. Es kann für sie sehr hilfreich sein, mit akustischen Erinnerungen zu arbeiten (zum Beispiel auf ihrem Smartphone) und sich Wecker zu stellen für diverse Zwecke: um anzuzeigen, wann man das Haus verlassen muss, um pünktlich zu kommen, wann eine Pause vorüber sein sollte oder wann es Zeit ist, sich bettfertig zu machen. In jedem Fall profitieren sie von äußerer Struktur, die ihnen im Innen fehlt. Um sich nicht so leicht ablenken zu lassen, ist für sie Meditation oder eine andere Achtsamkeitspraxis empfehlenswert, welche die Fähigkeit im Moment zu bleiben schult. Dann verquatschen sie sich auch weniger, steigen seltener aus Verträumtheit in den falschen Bus und bleiben mit ihrer Aufmerksamkeit leichter beim gerade anstehenden Ziel: zügig und pünktlich zum Termin zu erscheinen.
5. Der Überpünktliche
Wer ganz früh kommt, vermeidet Unpünktlichkeit auf jeden Fall? Das stimmt so nicht ganz, denn streng genommen ist auch das Erscheinen zu einem Termin lange vorher (ab einer Viertelstunde und mehr früher) nicht pünktlich – und kann ebenso wie Verspätungen als sehr unhöflich empfunden werden. Denn die andere Person hat noch nicht so früh mit dem Treffen gerechnet und befindet sich womöglich noch mitten in den Vorbereitungen. Im Restaurant ist der reservierte Tisch gegebenenfalls noch nicht frei, wenn der Gast deutlich früher eintrifft. Und im Büro sollte der überpünktliche Mitarbeiter seine Zeit besser noch mit Arbeiten verbringen, statt eine halbe Stunde lang im Meeting-Raum zu sitzen und auf den Start des Termins zu warten.
Die Lösung für den Überpünktlichen: Menschen, die so handeln, haben meist ein hohes Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle. Sie möchten sich unbedingt optimal auf einen Termin vorbereiten, prüfen mehrfach ihre Unterlagen auf Vollständigkeit und bauen einen Puffer ein, um bei Bedarf noch mal zur Toilette gehen zu können. Es handelt sich dabei um Perfektionisten, die alles richtig machen und die Möglichkeit des Zu-spät-Kommens um jeden Preis vermeiden wollen. Dieser Typus sollte einsehen, dass seine Überpünktlichkeit auch als unhöflich aufgefasst werden kann, da sie die andere Partei, die noch nicht für den Termin bereit ist, bei etwas stört. Da er unbedingt Fehler vermeiden möchte, kann er sich in der Regel leicht an eine gemäßigtere Form der Überpünktlichkeit gewöhnen – und in Zukunft nur noch zehn bis fünf Minuten vor einem Termin erscheinen. So hat er immer noch einen kleinen Vorlauf, der ihm Sicherheit gibt, ohne andere damit zu sehr zu stören.
Ein Plädoyer für Pünktlichkeit
Neben den genannten Unpünktlichkeits-Typen gibt es natürlich auch mehrere Mischformen sowie weitere denkbare Gründe, warum sich Menschen nicht bemühen, einen Termin genau einzuhalten (Desinteresse, Machtdemonstration, etc.). Was dennoch bei allen gleich ist, ist die Wirkung des Zu-spät-Kommens auf andere Menschen: Es strahlt eine gewisse Überheblichkeit oder auch Egoismus aus, wenn die unpünktliche Person andere warten lässt – und zeigt eindeutig, dass die Wertschätzung der Zeit des anderen für sie keine Priorität hat.
„Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige.“
(Ludwig XVIII., französischer König)
Es lohnt sich, an eigenen Tendenzen zur Unpünktlichkeit zu arbeiten. Denn Pünktlichkeit ist kein Nice-to-have, sondern auch heute noch ein starkes Zeichen von Respekt, Höflichkeit und Effizienz. Seit der Vermessung der Zeit orientieren wir Menschen uns an Uhrzeiten – nur so gelingen gemeinsame Vorhaben und nur so können Abläufe im Voraus optimal geplant werden. Auch wenn Ihnen selbst Warten nichts ausmacht: Gehen Sie immer davon aus, dass andere Menschen ihre Zeit lieber anders nutzen – und schon gar nicht von Ihnen zum Warten „gezwungen“ werden möchten. Indem Sie pünktlich zu Verabredungen erscheinen, legen Sie den ersten – nicht zu unterschätzenden – Grundstein für einen positiven Eindruck und für gelingende Beziehungen, ob im Arbeits- oder Privatleben.
Die wichtigste Grundlage für beruflichen Erfolg und persönliche Zufriedenheit bildet eine Lebensführung in Übereinstimmung mit Ihrer Persönlichkeit. Sie zu kennen, ist der erste Schritt. Mit unserem kostenfreien Schnuppertest bieten wir Ihnen die Möglichkeit, ihn zu gehen und einen ersten Einblick in Ihr Inneres zu erhalten.
28.07.2020