Das richtige Fach gewählt?
Wenn die Anforderungen im Studium steigen, kommen oft Zweifel. Dann ist Beratung wichtig.
Die Krise kam im dritten Semester. Sarah Köpke (23) saß in der Uni und dachte: „Amerikanistik - und dann? Eigentlich kannst du gleich Hartz IV beantragen.“ Dabei hatte alles so gut begonnen. Nach dem Abitur freute sie sich über die Zusage für das Bachelor-Studium Anglistik/Amerikanistik an der Technischen Universität Chemnitz. In ihrem Jugendzimmer stapelten sich die englischen Bücher.
Die Begeisterung für die Sprache trägt sie durch die ersten Semester. Aber als die Anforderungen steigen, kommen die Zweifel. Sie besucht Vorlesungen zur Kinderliteratur nach der Kolonialzeit und fragt sich, was ihr dieses Wissen nützt. Ständig hört Sarah Köpke: „Was willst du denn mit deinem Studium machen?“ Während ihre Kommilitonen konkrete Pläne schmieden, fehlt ihr die Perspektive - und damit auch die Motivation. Sie schafft nicht alle Scheine und hadert mit ihrer Studienwahl: „Irgendwann konnten mich meine eigenen Gedanken nicht mehr oben halten.“
Köpke ist nicht allein. Das Deutsche Studentenwerk registrierte in seiner jüngsten Sozialerhebung, dass jeder siebte Student in Beratungsstellen Zweifel äußert, ob er sein Studium fortführen soll. Abbruch oder Umschreibung sind keine optimalen Lösungen. Nach dem dritten Semester erhalten Wechsler kein BAföG mehr. „Ich wollte keinen Bruch im Lebenslauf.“, sagt Sarah Köpke. Aber wohin geht man mit dem „falschen Fach“?
Die Umstrukturierung der Studiengänge auf Bachelor und Master durch die Bologna-Reformen haben die Situation zumindest etwas entschärft. Für Bachelor-Studenten, die mit ihrem Fach unglücklich sind, steht nicht mehr das ganze Studium auf dem Spiel. Mit der Wahl des Masters können sie ihre erste Entscheidung - zumindest theoretisch - nach sechs Semestern noch einmal korrigieren. Jede Universität bietet Beratungsangebote, die Studenten bei der Orientierung helfen. Darüber hinaus gibt es bei der Agentur für Arbeit ein Hochschulteam, das Studierenden und Absolventen bis ein Jahr nach dem Abschluss zur Verfügung steht.
Wer mehr Unterstützung wünscht, kann sich auch in einer privaten Agentur für durchschnittlich 1100 Euro ein Persönlichkeitsprofil und konkrete Karrierestrategien erstellen lassen. Edith Püschel ist psychologische Beraterin an der Freien Universität Berlin. Sie sagt: „Von der Idee eines gradlinigen Lebenslaufs sollte man sich nicht unter Druck setzen lassen. Jeder braucht den Freiraum zu überlegen: Was will ich? Und: Wo braucht man Leute wie mich?“ Fragen, die man durch Praktika, AGs oder Auslandsaufenthalte gut überprüfen könne. Lieber ein Urlaubssemester, um sich in Ruhe zu orientieren, als nach einem schnell abgeschlossenen Master immer noch ratlos sein, findet Püschel. Zudem ist Berufserfahrung auf dem Arbeitsmarkt gefragt. „Reihen Sie so viele unterschiedliche Erfahrungsschätze aneinander wie möglich“, rät Ingrid Arbeitlang. Sie arbeitet seit zehn Jahren für das Hochschulteam der Agentur für Arbeit Berlin: „Das Profil eines Bewerbers erschließt sich dem Personalchef weniger durch das Studium als durch praktische Erfahrungen, Interessen, oder das derzeit besonders gefragte Ehrenamt.“ Christian Greiser , verantwortlich für das Recruiting bei der Boston Consulting Group (BCG), kann das bestätigen. „Wir erwarten, dass Bewerber sich auch außerhalb des Studiums engagiert haben.“ Zudem sammeln Studierende im und außerhalb ihres Studiums Kompetenzen, die über Fachwissen hinausgehen, und darum auch einen fachfremden Berufseinstieg erleichtern können. Die BCG beschäftigt unter anderem studierte Sinologen, Ethnologen und Musikwissenschaftler. Manchmal findet sich auch außerhalb der Uni unerwartet ein neuer Beruf. Wie bei Jan Philipp Platenius (27). Er hat in Bielefeld Germanistik und Geschichte auf Lehramt studiert. Als Fußballfan gründete er mit Freunden nebenbei ehrenamtlich eine Fan- und Förderabteilung für Borussia Dortmund. In zwei Jahren wuchs das Projekt von zehn auf 3000 Menschen. Platenius hatte plötzlich Kontakte vom Bauarbeiter bis zum Unternehmer und erkannte, dass ihm das Organisieren Spaß machte. Er suchte sich ein Praktikum in der Wirtschaft. In der Stellenausschreibung wurden BWLer und Wirtschaftsjuristen gesucht. Er bewarb sich trotzdem und bekam die Stelle. Dem ersten Praktikum folgte ein weiteres bei Volkswagen. Platenius war inzwischen im Masterstudiengang Lehramt. „Ganz radikal aufgeben wollte ich das nicht“, sagt er. Aber er nahm sich mehr Zeit, besuchte zusätzlich Wirtschaftskurse und schrieb seine Masterarbeit bei Miele. Der Mentor , den er sich über ein Programm seiner Universität gesucht hatte, ermutigte ihn. Nachdem er das erste Staatsexamen abgeschlossen hatte, ging er nicht ins Referendariat, sondern gründete seine eigene Unternehmensberatung im Bereich Hochschulmanagement. Statt verbeamter Lehrer zu werden, machte er sich selbstständig. „Manche Freunde dachten, jetzt lande ich in der Gosse.“
Er betrachtet seinen ungewöhnlichen Werdegang als Plus. „Germanistik hilft, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Jede Geschichts-Hausarbeit ist ein Projekt, das man von der vorhandenen Literatur abgrenzen muss. Genau das macht auch die Gründung eines Unternehmens aus.“ Auch Sarah Köpke hofft, dass ihr Umweg nicht umsonst war. Nach dem Bachelor hat sie einen Ausbildungsplatz als Erzieherin und Jugendreferentin. Damit will sie in Großbritannien arbeiten - ihr Englisch ist schließlich perfekt.
Mit freundlicher Genehmigung von Friederike Lübke