Zufall als Erfolgsgeheimnis – Chancen im Beruf erkennen und nutzen
Es sind extreme Lebensläufe wie die von Stefan Raab, Joschka Fischer oder Ronald Reagan, die Hermann Scherer interessieren. In seinem Buch „Glückskinder“ hat er sich die Frage gestellt, warum diese Menschen so erfolgreich sind.
Er fand heraus: Sie haben Selbstbewusstsein, Durchhaltevermögen und ein großes Netzwerk. Aber vor allem haben sie, was Scherer Chancenintelligenz nennt. Darunter versteht er die Fähigkeit, Chancen zu erkennen, zu nutzen und sie sich zu erarbeiten. Eine Chance sei dabei nicht das Jobangebot, das Bewerber in der Zeitung finden. Und es sei auch nicht der genau geplante Aufstieg auf der Karriereleiter. Eine Chance liege meistens vielmehr direkt vor der Nase. Viele würden sie nur nicht erkennen. Um sie zu sehen, müsse man gegen den Strich denken und auch einmal gegen die Gewohnheit handeln. Ein gutes Beispiel sei Stefan Raab, der den Eurovision Song Contest zunächst veralberte, dann mit seiner eigenen Produktionsfirma auf nationaler Ebene nachbaute und schließlich mit Lena 2010 zum Erfolg führte. Nur Raabs Fähigkeit, in dem European Song Contest eine Chance zu erkennen, ihn gegen den Strich zu denken, führte zu dem großen Erfolg, den er mit ihm hatte. „Der Schlüssel ist Initiative“, schreibt Scherer. Scherer plädiert für den Perspektivenwechsel. „Chance ist Refraiming“, so der Autor. Ein Prozess müsse in einen völlig neuen Kontext gestellt werden. Das sei allerdings harte Arbeit. Und planen lasse es sich in der Regel auch nicht. Eine Überzeugung, die der Hamburger Unternehmensberater Jens Braak teilt. Der Autor des Buchs „Zufallstreffer“ geht noch einen Schritt weiter als Scherer und rät jedem, nicht krampfhaft die Kontrolle über das eigene Leben behalten zu wollen, sondern den Zufall zu ermöglichen. „Es geht darum, einen Blumenstrauß an Möglichkeiten zu erzeugen.“
Den Zufall zu sich einladen, das klingt zunächst paradox. Wie das geht, gibt die Hamburger Karriereberaterin Ragnhild Struss Berufseinsteigern gern mit auf den Weg: „Kommen Sie mit möglichst vielen Personen aus Ihrem Zielbereich in Kontakt und machen Sie Ihren Traumjob öffentlich.“ Messen, soziale Netzwerke oder Jobbörsen, auf denen man seinen Lebenslauf veröffentlichen kann, seien wichtige Zufallsgeneratoren. „Zufall passiert nicht, wenn ich zuhause herumsitze und darauf warte, dass jemand an meine Tür klopft.“ Wer über Business-Netzwerke Mitarbeiter befrage, bekomme wertvolle Einsichten in sein Zielunternehmen und könne passgenaue Initiativbewerbungen schreiben. „Extrovertierten Menschen fällt diese Vorgehensweise leichter“, gibt Ragnhild Struss zu. Aber auch schüchterne Menschen können den Zufall beeinflussen: Sie sollten auf bestehende Kontakte, etwa zu Hochschullehrern oder Ausbildern zurückgreifen, sehr gute Lebenslaufunterlagen parat haben und Vorstellungsgespräche üben: „Gut vorbereitet kann ich Zufälle wesentlich besser nutzen.“ Allerdings könne man Chancen nur erkennen, wenn man sich der eigenen Ziele, Wünsche und Stärken bewusst sei. Nur mit einer guten Vorbereitung, Selbstkenntnis und einer klaren Karrierestrategie geben wir unserem Gehirn die Möglichkeit zufällige und doch relevante Informationen zu erkennen und darauf zu reagieren, so Struss: „Unsere Wahrnehmung lässt uns nur das bewusst erkennen, wofür wir ein Referenzsystem haben.“ Chancenintelligenz entwickelt man daher durch Bewusstwerdung, durch Initiative überall dort, wo wir Einfluss haben – und Gelassenheit wo der Zufall agiert, ergänzt Jens Braak. In seinen Interviews mit Menschen, die erfolgreich mit dem Unplanbaren umgegangen sind, stellte der Autor fest: „Wer offen ist für den Zufall, verfügt über eine gewisse innere Unabhängigkeit und fühlt sich wie von einer Welle getragen – auch wenn es gerade mal nicht so wie geplant läuft.“
Schließlich gebe es immer Entwicklungen, für die wir nichts können, seien es positive Überraschungen wie der erste Kontakt zu einem potenziellen Geschäftspartner oder aber Schicksalsschläge wie eine schwere Krankheit. „Das können Sie nicht durch Strategien, durch Nachdenken und Planen verhindern.“ Wohl aber auffangen könne man es durch einen vernünftigen Umgang mit dem Auf und Ab des Lebens: „Niemand ist seines Glückes alleiniger Schmied.“
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Deike Uhtenwoldt, DPA