Mutterschaft | Dienstag, 26. November 2013

Mütter sind Freiheitskämpfer für uns alle

Struss und Partner sieht Mütter als Vorreiter bei der Verwirklichung individueller Lebensmodelle

Ragnhild Struss, eine Frau von ansteckendem Temperament, ihr Gegenüber fest im Blick, konzentriert und sicher im Wort, eine leidenschaftliche Unternehmerin, die sich Gedanken macht. Sie hat bereits vieles in ihrem Kopf und Leben bewegt, auch die großen gesellschaftlichen Themen. Nicht nur zuzuschauen, sondern auch Teil der Veränderung zu sein, schreibt sich die 34-jährige seit Gründung ihrer Firma vor zehn Jahren auf die Fahnen. Die Arbeitswelt gehört zu ihren großen Anliegen, auch berufsbedingt. Sie verfolgt neugierig und genau jede Entwicklung, ob es sich um allgemeine Recruitingtrends, Personalentwicklungsfragen oder die Frauenquote handelt. Sie hinterfragt und zieht ihre Schlüsse. An die positive Kraft von Müttern glaubt sie schon lange – die Hälfte ihrer Mitarbeiter sind Frauen mit Kindern.

Uni zu Ende - und nun? Gestalten wollte sie, in eigenen Strukturen arbeiten und dabei Spaß haben. Das, überlegte sie sich, könnte sie nur als Selbständige. Die Geschäftsidee kam ihr bei einem mäßig gut geführten Beratungsgespräch. „Das kann ich besser“, sagte sie sich und gründete zusammen mit ihrer Mutter eine Karriereberatung für Jugendliche, Studenten und Absolventen. Heute teilt sie sich sowohl Geschäftsführung als auch Ideenwelt mit ihrer Kollegin Veronika Latzel, die es als großes Privileg ansieht, mit Menschen zusammen arbeiten zu dürfen, die alte Arbeitsmodelle in Frage stellen, ja sogar aufbrechen wollen, mit denen man persönliche Karrierewege gerade für Frauen und Mütter neu definieren und gemeinsam über individuelle Persönlichkeitsentwicklung kreativ nachdenken darf.

Inzwischen führen pro Tag gleich mehrere Familien ihre Sprösslinge in die großzügig und modern gestalteten Räume am Hamburger Goldbekkanal. Empfangen werden sie von einem persönlichen Coach, meist einer Frau. Einen ganzen Tag lang werden dann mit Hilfe von Interviews, Persönlichkeitstests und kognitiven Leistungsverfahren die Neigungen des nach Orientierung suchenden jungen Klienten erforscht. Dann geht der Blick in die Zukunft: Welche Ausbildung, welches Studium, welcher Weg könnte in ein erfüllendes Berufsleben führen? In jedem Menschen steckt ein Potenzial, ist Veronika Latzel überzeugt. „Das will erkannt werden, um es bestmöglich für den weiteren Lebensweg nutzen zu können.“

Wer hilft, Weichen zu stellen, solche fürs Leben, trägt nicht wenig Verantwortung. Wer könnte dieser am besten gerecht werden, fragte sich Ragnhild Struss, wenn nicht ein Berater, der den Status von „ich bin nur für mich allein verantwortlich“ zu „jetzt sind wir zwei, drei, vier...“ bereits vollzogen hat? Die Antwort: Mütter! Denn die kennen die Rolle der Wegbegleiterin und Förderin bereits aus ihrem privaten Umfeld. Und mehr noch: sie sind auch große Vorbilder für persönliche Entwicklungsfreude.

Klar sei, sagt Ragnhild Struss, dass Mütter immer von Einschränkungen in ihrem Tagesablauf betroffen sind. Und das sieben Tage die Woche. Unterschiedliche Schließungszeiten von Kitas und Schulen machten das nicht einfacher. „Trotzdem, dieser Parameterabgleich zwischen Vollzeit und Teilzeit ist doch absurd“, sagt Ragnhild Struss über Einwände, die nur Kosten und Arbeitszeit im Fokus haben. „Für mein Unternehmen will ich doch nicht auf die große Produktivität und das Erfahrungswissen dieser Frauen verzichten.“

Aus dem Mund einer Betriebswirtin mit Schwerpunkt Finanzen klingt das handfest. Doch Ragnhild Struss wagt sich noch einen Schritt weiter, ohne ins Esoterische abzugleiten: „Für Unternehmen ist das ein leistungsentscheidender Moment, eine besondere Qualität, die durch mütterliche Energie getragen wird. Von der überwältigenden Liebeserfahrung, die eine Mutter erlebt hat, profitiert jeder Arbeitgeber“, sagt sie. „Das gilt nicht nur für mein Unternehmen, auch Banken und Versicherungen können Akteure in ihren Reihen gebrauchen, die einen tugendhaften Umgang im Miteinander vorleben und Verantwortung übernehmen.“

Die Unternehmerin möchte ihren Mitarbeitern ein ausgewogenes Berufs- und Privatleben ermöglichen. „Mutter zu sein ist nur eine Eigenschaft von vielen. Es gibt auch andere Lebensmodelle, die mit der altbekannten Vollzeitstelle nicht mehr vereinbar sind. Individuelle Arbeitsgestaltung wird langfristig beiden Seiten Vorteile bringen“, sagt sie. „Unsere Wissensmanagerin promoviert nebenbei und ein Berater absolviert neben der Tätigkeit bei Struss und Partner eine therapeutische Ausbildung.“

Oder es teilen sich beispielsweise zwei Mitarbeiterinnen eine Stelle, und damit auch Aufgaben und Verantwortung, Sorgen und Nöte. Für jeden Kunden-Berater steht im Hintergrund ein zweiter bereit, der sofort einspringt, wenn etwa ein krankes Kind zu Hause betreut werden muss. Doch nicht immer stößt die organisierte Zuverlässigkeit bei Auftraggebern - ausnahmslos selbst Eltern - auf Verständnis. "Steht unerwartet eine andere Beraterin im Zimmer, gibt es schon mal Probleme", räumt Veronika Latzel ein. Aber hier bleiben die Frauen standhaft. Das gilt auch für das Thema Wochenendarbeit. Für ihre berufstätige Klientel immer wieder ein Wunschthema: Bitte einen Termin am Sonntag. Doch das bleibt bei Struss und Partner - zum Schutz der Mitarbeiter - tabu. Es gibt nur eine Ausnahme: Wenn sich eine Mutter wegen der Familieneinteilung die Arbeitszeit selbstbestimmt in die Abende oder in den Sonnabend legt. 

Das klingt alles sehr fortschrittlich, doch gibt es auch Grenzen? Wer achtet darauf, dass das System nicht einseitig zu Gunsten des Arbeitnehmers ausgenutzt wird? Und dass Kunden bestmöglich bedient werden? „Die wichtigsten Eigenschaften, auf die ich bei meinen eigenen Mitarbeitern – ob Eltern oder nicht - achte, sind Eigenverantwortung und der Wille, Prozesse positiv mit zu gestalten“, sagt Ragnhild Struss. „Egal in welcher Lebenslage sich ein Mitarbeiter befindet, er sollte sich ein privates Netzwerk geschaffen haben, das ihn in Notsituationen stützt.“ Schließlich handele es sich um ein Tauschgeschäft auf Gegenseitigkeit - auch zwischen den Kollegen.

Bei allen Widrigkeiten, Ragnhild Struss will ihre Ideen leben. „Ausgehend von meiner Identität muss ich mein Leben so planen, dass ich zufrieden bzw. glücklich, gesund und erfolgversprechend lebe“, erklärt sie gerne den Ratsuchenden, wie manchmal jungen Müttern, die sich nach einer Babypause einem beschränkendem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gegenübersehen. „Der Weg geht von innen nach außen.“ Wäre sie glaubwürdig, wenn sie die Lebensmodelle ihrer eigenen Mitarbeiter auf dem Weg der Selbstverwirklichung beschneiden würde? Ragnhild Struss hat selbst keine Kinder - noch nicht. Aber eines weiß sie schon heute: als Unternehmerin und künftige Mutter möchte sie einen gesellschaftlichen Beitrag leisten und später ihrem Kind vielleicht sogar einer Tochter sagen können: „Sieh mal, das habe ich auch für dich gemacht“.

Und sie freut sich über Frauen mit Kindern, die sich mit Überzeugung für realistische Erwartungen bei ihren Arbeitgebern und für ein neues Rollenverständnis einsetzen: „Darauf dürfen diese Frauen stolz sein, denn sie sind Freiheitskämpfer für uns alle.“

Mit freundlicher Genehmigung von Susanne Schnelle

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