Fake it till you make it? Ein Plädoyer fürs Echte
Der Dezember ist ein besonderer Monat. Ihn überzieht nicht nur der magische Glanz von Weihnachtsmärkten und Tannenbaumkerzen, sondern auch ein Hauch Tatendrang. Je näher das Jahresende rückt, desto stärker richtet sich der Blick auf das, was anders werden soll. Um die Halbwertszeit der guten Vorsätze über den Neujahrstag hinaus zu verlängern, empfiehlt es sich, dem ritualisierten Blick in den Rückspiegel einen besonderen Fokus zu geben: das eigene Ich.
Wann lebt es sich besonders glücklich? Wann geht es mir besonders gut? Man muss kein Freizeit-Freud sein, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass dieser Zustand wenig mit kurzfristigen Veränderungen zum Beispiel am Sport- oder Essverhalten zu tun hat. Nice try. Aber jedem Menschen geht es besser, wenn er sich regelmäßig bewegt und ausgewogen ernährt. Viel einflussreicher für den individuellen Zufriedenheits-Index ist das Maß innerer Übereinstimmung: Nur, wenn ich im Innen und im Außen so lebe, wie ich bin, lebe ich glücklich. Aber wie bin ich eigentlich?
Zwar kennt man sich in der Regel selbst schon recht lange. Trotzdem oder gerade deshalb gibt es blinde Flecken, die es sich lohnt auszuleuchten. Warum? Das zeigen Menschen, die auf andere wirken, als ruhten sie in sich selbst. Sie umgibt die Aura des Authentischen. Ehrlichkeit – sich selbst und anderen gegenüber – bringt Erleichterung. Befreit, von der Anstrengung, sich verbiegen zu müssen, werden ungeahnte Kräfte frei. Nichts hat mehr Anziehungskraft als das Echte.
Auf dem Weg dorthin helfen ganz konkrete Fragen. Wann habe ich mich das letzte Mal so richtig wohl gefühlt? Welche Faktoren haben diese Situation bestimmt? Wann und vor allem warum war ich besonders motiviert? Was hat mich so richtig begeistert? Wer sich schon als Kind den Pfadfindern angeschlossen und später in der BUND-Jugend engagiert hat, wird sich in einem beruflichen und privaten Umfeld heimisch fühlen, das Ideale vertritt und einem übergeordneten Sinn folgt. Wer Mathe mochte, weil es nur ein Richtig und keinen Interpretationsspielraum gibt, am besten alleine arbeitet und auf Erfahrungen aufbaut, ist optimal aufgestellt für Jobs in der Wirtschaftsprüfung & Co. Zu wissen, was antreibt, offenbart Stellschrauben, an denen gedreht werden kann.
Neben der Motivation wirkt sich die eigene Sozialisation aus. Von Anerkennung bis Abwechslung, von Status bis Sicherheit: Die Werte, die jeden einzelnen bestimmen, sind ganz unterschiedlich – und neutral zu betrachten. Gutes Geld verdienen zu wollen, ist zum Beispiel ein ebenso legitimes Ziel wie der Wunsch, einen sozialen Fußabdruck zu hinterlassen oder in erster Linie für die Familie da sein zu wollen. Kenne dein „Warum“, und du kennst deine Richtung. Werte sind Pull-Faktoren; sie ziehen in bestimmte Bereiche. Als Anhaltspunkt für den eigenen Kurs dienen Antworten auf die Fragen: Was habe ich mit auf den Weg gegeben bekommen? Welche übergeordneten Werte geben meinem Leben eine Richtung? Warum habe ich mich für meinen Job entschieden? Welche Erwartungen daran geknüpft?
Sich einmal ernsthaft und strukturiert mit eigenen Motiven und Werten zu beschäftigen, ist der erste Schritt. Aus dem Unbewussten zutage gefördert, werden sie zu Instrumenten, die angewendet werden können – ob im Job oder in der Freizeit, in Freundschaften oder Beziehungen. Zu versuchen, ganz bei sich selbst zu bleiben, die eigene Meinung zu vertreten, und Konsequenzen zu ziehen, ist nicht nur ein guter, sondern auch ein nachhaltiger Vorsatz für 2017.
Von Ragnhild Struss, erschienen am 27. Dezember 2016 im Fielfalt Blogazine.